Nichts hält ewig - Die Realität holt die Börsianier ein
13.01.2020
Guido vom Schemm, Geschäftsführer GVS Financial Solutions GmbH / Foto: © GVS
finanzwelt: Wo sehen Sie aktuell die größten Herausforderungen insbesondere für institutionelle Investoren, die oftmals eine andere Anlagephilosophie vertreten als Privatanleger?
vom Schemm: Institutionelle Anleger stehen vor einem besonders großen Zinsdilemma, sollten sie ihre Asset Allokation nicht überdenken. Aus Zinslust ist mittlerweile Zinsfrust geworden, sollten Institutionelle auf ordentliche Erträge angewiesen sein. Daher ist ein Ausweichen auf Private Debt, Infrastruktur und anderen Alternatives unerlässlich, um einen Performancebeitrag zu liefern. Privatanleger können eher auf Aktien, die eher zinsähnliche Merkmale aufweisen, setzen, um Magerrenditen zu vermeiden.
Eine weitere Möglichkeit ist das Beimischen von unkorrelierten Fonds, die sich auf Sachwerte fokussieren, um die Portfolioschwankungen ohne große Renditeverluste runterzufahren.
finanzwelt: Ihr Statement zur geplanten Börsensteuer?
vom Schemm: Die geplante Börsensteuer zeigt zum einen, wie stark die Lobbyarbeit der Banken ist und zum anderen die mangelnde Kompetenz oder Willen des Finanzministers, die drohende Altersarmut der Bevölkerung nachhaltig zu bekämpfen.
Die Börsensteuer sollte ursprünglich das Zocken mit hochspekulativen Derivaten an der Börse bestrafen, die zur Finanzkrise 2008/2009 geführt hat. Banken und andere Finanzjongleure haben jedoch kein Interesse daran, diese Einnahmequelle versiegen zu lassen. Die Aktie als Eigenkapitalinstrument ist zudem die einfachste, kostengünstige Lösung für Privatanleger, um langfristig von der Wirtschaftskraft und Perspektiven deutscher und internationaler Unternehmen zu profitieren. Da die Zinsdürre noch mehr als 10 Jahre anhalten dürfte, sind Zinsanlagen keine Alternative mehr, um für die Altersvorsorge anzusparen. Eine Alternative zur Börsensteuer wäre eine Rückkehr zur Spekulationssteuer, falls Aktien innerhalb von 12 Monaten ge- und verkauft werden. Das langfristig steuerbegünstige Anlegen mittels Aktien würde der deutschen Aktienkultur auf die Beine helfen.
finanzwelt: Ein Blick aufs Portfolio - Anleihen der Schwellenländer haben sich 2019 gut entwickelt. Was erwarten Sie im Anleihenbereich für 2020?
vom Schemm: Schwellenländeranleihen in Hartwährungen waren in 2019 ein Hort der Stabilität und Rendite. Dies sollte sich in 2020 sogar verstärken, da die Null- und Minuszinsen in den entwickelten Währungsräumen weiter fallen dürften. Am besten spielen Privatanleger Schwellenländeranleihen über einen breitgestreuten ETF. Offensive Anleger können einzelne Schwellenländerwährungen spielen, um neben dem höheren Zins eine Chance auf Währungsgewinne zu wahren. Russlandanleihen in Rubel scheinen derzeit besonders interessant, da die russische Wirtschaft gegen den weltweiten Trend weiter zulegen sollte.
Hochzinsanleihen aus Europa und USA erachten wir im Vergleich mit Schwellenländeranleihen als unattraktiv, da das erhöhte Risiko nicht ausreichend entlohnt wird und bei Hochzinsanleihen im Falle einer Rezession als erstes Risse im System erkennbar werden.