Leitzinserhöhung der SNB um 50 Basispunkte erwartet
19.06.2023
Wir erwarten, dass die Schweizerische Nationalbank (SNB) am 22. Juni eine weitere Zinserhöhung ankündigen wird. SNB-Präsident Thomas Jordan äußerte Anfang des Monats anhaltenden Sorgen hinsichtlich einer hartnäckig hohen Kerninflation. Die Gesamtinflation liegt mit 2,2% gegenüber Vorjahr zwar auf einem vergleichsweise niedrigen Niveau, sie liegt aber immer noch über dem Zielwert der Notenbank. In diesem Zusammenhang ist erwähnenswert, dass das Inflationsziel der SNB bei 0% bis 2% liegt und nicht bei 2%, wie bei den meisten anderen Zentralbanken.
Während sich die Teuerungsrate im Jahresvergleich kürzlich von 2,6% auf 2,2% verlangsamte, verzeichnete der Verbraucherpreisindex im Vergleich zum Vormonat einen Anstieg von 0% auf 0,3%. Dies deutet auf einen kurzfristigen Inflationsdruck hin. Darüber hinaus werden die administrierten (öffentlich kommunizierten) Preise – etwa für Mieten, Strom und öffentliche Verkehrsmittel – Anfang 2024 weiter steigen. Hinzu kommt, dass die SNB bestrebt ist, die derzeitige Stärke des Schweizer Frankens beizubehalten. Diese schützt die heimische Wirtschaft vor externem Inflationsdruck.
Aufgrund der sich ausweitenden Renditedifferenz zu deutschen Bundesanleihen und der jüngsten geldpolitischen Maßnahmen in Kanada, Australien und in Europa ist dies zunehmend schwieriger geworden. Angesichts der Bedenken hinsichtlich eines bevorstehenden Wiederanstiegs der Kerninflation und einer potenziellen Abschwächung des Schweizer Frankens ist unseres Erachtens zu erwarten, dass die SNB die Zinssätze um 50 Basispunkte anheben wird.
Die Tatsache, dass der Einkaufsmanagerindex (PMI) für das verarbeitende Gewerbe kürzlich nur bei 43,2 lag, spricht nicht gegen einen solchen Schritt. Denn es gibt auch positive Nachrichten. Zum einen liegt der PMI für den Dienstleistungssektor immer noch bei gesunden 52,6. Zweitens bleibt die Arbeitslosigkeit mit 1,9 % auf einem historischen Tiefstand. Drittens ist das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im Vergleich zum Vorjahr um 0,6 % gestiegen. Unserer Meinung nach reagiert die Schweizer Wirtschaft weniger empfindlich auf Zinsänderungen als die Volkswirtschaften anderer Länder. Daher wird sich eine Zinserhöhung um 50 Basispunkte wahrscheinlich weniger stark auf die Wirtschaftstätigkeit auswirken als anderswo. Und schließlich hat das Schweizer Bankensektor von den steigenden Zinsen profitiert, da die höheren Zinssätze nur zeitverzögert an Einleger weitergegeben wurden. Die überwiegende Mehrheit der Schweizer Hypotheken ist festverzinslich, und angesichts des strukturellen Unterangebots an Wohnraum in der Schweiz dürfte sich der Immobiliensektor weiterhin gut behaupten.
Einige Marktbeobachter fragen sich, warum die SNB anstelle einer Zinserhöhung nicht ihre Billionen-Dollar-Bilanz verkürzen sollte. Zur Erinnerung: 2012 begann die SNB, am Devisenmarkt zu intervenieren, um eine Überbewertung des CHF zu verhindern. Diese Interventionen erfolgten durch den Umtausch von CHF in EUR, USD, GPB usw. und durch den Kauf von Vermögenswerten (sowohl festverzinsliche Wertpapiere als auch Aktien). Das Kaufprogramm endete 2022 bei einer SNB-Bilanzsumme von etwa 1 Billion.
Unserer Ansicht nach wäre ein Abbau der Bilanz das Mittel der Wahl, um externen Inflationsdruck zu bekämpfen; dies würde wahrscheinlich zu einer weiteren Aufwertung des Schweizer Franken führen. Im Gegensatz dazu sind Zinserhöhungen im Allgemeinen wirksamer, wenn es darum geht, den inländischen Inflationsdruck einzudämmen. Derzeit ist dies die Hauptsorge der SNB. Hinzu kommt die Sorge über die Wettbewerbsfähigkeit der Schweizer Exporte, die im Falle einer weiteren Aufwertung des CHF leiden würden. Da die Bilanz nur über eine begrenzte Menge an Vermögenswerten verfügt, die verkauft werden können, dürfte die SNB einer Zinserhöhung den Vorzug vor einer Bilanzreduzierung geben, wobei letztere ihre zweite Verteidigungslinie darstellt.
Kommentar von Martina Honegger-Romahn, Lead Portfolio Manager Fixed Income Schweiz