Lage, Qualität und ESG

19.12.2023

Niclas Wallrafen, COO und Partner der Vision Group

Nach einer exorbitanten Boom-Dekade im deutschen Immobilienmarkt sorgt die Zinswende der EZB seit Juli 2022 für Ernüchterung. Die Transaktionen brachen ein und zahlreiche Projekte wurden auf Eis gelegt. Was im aktuell schwierigen Umfeld grundsätzlich noch für Immobilien in Deutschland spricht und warum für Anleger das Thema ESG so wichtig ist, erklärt Niclas Wallrafen, COO und Partner der Vision Group im Interview.

finanzwelt: Durch welche Entwicklungen ist der deutsche Immobilienmarkt dieses Jahr besonders gekennzeichnet?

Niclas Wallrafen» Das waren vor allem natürlich die erhöhten Zinsen sowie die ESG-Bewegung. Durch den von 0 auf aktuell 4,5 % gestiegenen Leitzins der EBZ ist ein deutlicher Preisverfall am Markt zu spüren, da die Kosten für Hypothekendarlehen drastisch gestiegen sind. Dies hat das Marktgeschehen spürbar verlangsamt, da Projekt- und Bestandsfinanzierungen sich nun an die Gegebenheiten der ‚neuen Zinswelt‘ anpassen müssen. Das heißt: Diversifizierung des Portfolios nach dem Motto ‚Lage, Lage, Qualität‘.

finanzwelt: Und welche Bedeutung kommt der ESG-Bewegung zu?

Wallrafen» Die wachsende Betonung von ESG führt mit großen Schritten hin zu ‚grünen‘ oder nachhaltigen Gebäuden. Immobilienprojekte sowie Finanzierungspartner legen mehr Wert auf Umweltverträglichkeit, soziale Verantwortung und eine gute Unternehmensführung. Der Trend geht dahin, Investitionen in ESG-konforme Projekte zu erhöhen, um den wachsenden Marktbedürfnissen gerecht zu werden. Als Unternehmen setzen wir gezielt auf Projekte, die den Grundsatz ‚Lage, Lage, Qualität‘ beherzigen und eine Balance zwischen den erhöhten Zinsen und den ESG-Herausforderungen finden.

finanzwelt: Was spricht grundsätzlich für Immobilien in Deutschland, auch im aktuell schwierigen Umfeld?

Wallrafen» Die Entwicklung der Wohnimmobilien in den letzten 30 Jahren war schon immer geprägt von verschiedenen wirtschaftlichen, sozialen und politischen Faktoren. Dazu zählen die Wiedervereinigung Deutschlands, der demografische Wandel, der Mangel an Wohnraum, die Energiewende und vieles mehr. In diesem Zeitraum haben sich die Preise allerdings überdurchschnittlich positiv entwickelt. Die Gründe dafür liegen einerseits in einer stabilen Wirtschaft, andererseits in dem nach wie vor anhaltenden und voraussichtlich weiter steigenden Wohnraummangel – aktuell fehlen mehr als 700.000 Wohnungen. Hinzu kommen die Urbanisierung und ein internationaler Anlagedruck, da Deutschland aufgrund der genannten Punkte als sicherer Hafen für Investitionen angesehen wird. Aufgrund all dieser Faktoren sind wir nach wie vor davon überzeugt, dass die Asset-Klasse im Vergleich zu anderen Investments überdurchschnittlich gut performt.

finanzwelt: Stichwort restriktive Kreditvergabepolitik der Banken: Spüren Sie diese Effekte auch in Ihrem Unternehmen?

Wallrafen» Definitiv sind Banken deutlich restriktiver geworden und prüfen Kreditvergaben unter den Gesichtspunkten der ‚neuen Zeit‘. Jedoch spüren wir, dass es einfacher ist, Finanzierungen für Projekte zu erhalten, welche die ESG-Kriterien erfüllen, da sie mit der strategischen Ausrichtung der Banken übereinstimmen. Darüber hinaus können Banken und Investoren von staatlichen Anreizen oder Subventionen profitieren, die auf die Förderung nachhaltiger Immobilienprojekte abzielen.

finanzwelt: Wie entwickelt sich die Nachfrage nach Immobilien-Investments im Privatkundensegment?

Wallrafen» Die Nachfrage ist letztes Jahr aufgrund der Zinswende erstmal merklich zurückgegangen, kommt aber langsam wieder zurück. Dies resultiert insbesondere aus der Möglichkeit, Zinsen im Kapitalanlagesegment steuerlich abzusetzen, sowie weiteren steuerlichen Vorteilen, die Immobilien gegenüber anderen Anlageklassen attraktiv machen.

finanzwelt: Was macht das Thema ESG für Anleger im Immobiliensektor langfristig so interessant?

Wallrafen» ESG-Kriterien zu berücksichtigen, ist für Anleger wichtig, da diese Faktoren zunehmend die Entscheidungen von Verbrauchern und damit die Marktdynamik beeinflussen. Nachhaltige Immobilienprojekte im Sinne von Bestandsoptimierungen oder Neubauprojekte können eine stabilere Rendite erwirtschaften, da sie auf langfristige Trends und regulatorische Entwicklungen ausgerichtet sind. Zudem kann die Berücksichtigung von ESG-Aspekten das Risiko in einem Portfolio reduzieren, da sie Unternehmen und Projekte begünstigt, die auf zukünftige Herausforderungen vorbereitet sind. Investoren sollten diese Trends in Betracht ziehen, weil sie nicht nur eine positive soziale Wirkung haben, sondern auch das Potenzial bieten, langfristig ökonomischen Wert zu schaffen und gleichzeitig Risiken, die mit dem Klimawandel und gesellschaftlichen Veränderungen verbunden sind, zu mindern.

Weiterlesen auf Seite 2

Andere ThemenFinanzwelt Verlag