"Kurze Beine" oder entscheidender Einflussfaktor?

11.06.2019

Andreas Kern, Gründer und CEO der wikifolio Financial Technologies AG / Foto: © Martina Draper

Fallende Zinsen als positives Gegengewicht

Knobloch will aber nicht über den gesamten Markt den Stab brechen. „Aktien aus Branchen, die nur geringfügig vom aufkommenden Protektionismus betroffen sind, dürften die Korrektur relativ schnell hinter sich lassen“, glaubt der Trader, der weiterhin „keine Anlagealternativen zum Aktienmarkt“ sieht. Zumal die Kapitalmarktzinsen zuletzt deutlich gefallen seien und der Markt noch in diesem Jahr mit einer Senkung des Leitzinses durch die US-Notenbank Fed rechne. Darauf baut auch Christian Jagd, der die bedeutende Rolle von US Notenbankchef Jerome Powell für die Entwicklung an den Aktienmärkten hervorhebt. Zudem dürfe man nicht vergessen, dass die jüngste Korrektur nach dem sehr starken Jahresauftakt „überfällig“ gewesen und die Verschärfung des Handelskriegs von den Marktakteuren „als willkommener Anlass zu Gewinnmitnahmen“ genutzt worden sei.

wikifolio-Trader Stephan Beier geht sogar noch einen Schritt weiter: „Politische Ereignisse werden in der öffentlichen Berichterstattung häufig als vermeintliche Gründe für Bewegungen an den Kapitalmärkten herangezogen. Ob eine ursächliche Verbindung tatsächlich vorliegt ist aber unklar. Ich gehe davon aus, dass grundsätzlich andere Parameter die Aktienkursentwicklung nachhaltiger beeinflussen als die politischen Ereignisse.“ Konkret meint er dabei „fundamentalökonomische Bewertungsfaktoren von Volkswirtschaften, Währungsräumen und Unternehmen“ sowie andere Faktoren wieho Psyclogie, Sentiment und das Momentum. Das alles habe mittelfristig einen größeren Einfluss auf das Angebot und die Nachfrage an den Aktienmärkten. Politische Ereignisse würden die Aktienkurse „allerhöchstens sehr kurzfristig beeinflussen“.

Favoritenwechsel durch den Aufschwung der „Grünen“

Während viele Trader aufgrund der politischen Ereignisse aktuell tendenziell eher defensive Branchen wie Nahrungsmittel, Konsum und Pharma bevorzugen, könnten gerade in Deutschland mittelfristig wieder ganz andere Segmente in den Fokus der Investoren rücken. Christian Jagd jedenfalls vertritt die Meinung, dass der „ergrünte“ gesellschaftliche Zeitgeist „auf jeden Fall eine wichtige Determinante ist, die bei Investmententscheidungen der Marktteilnehmer eine nicht zu unterschätzende Rolle spielt“. Vor diesem Hintergrund gefällt ihm aktuell die Aktie der norwegischen Tomra Systems „mit ihren intelligenten Sammel- und Sortierlösungen“. Kai Knobloch wiederum bezeichnet Unternehmen wie Energiekontor, 2G Energy, 7c Solarparken, Cropenergies und Verbio als mögliche Profiteure einer verstärkten Klimaschutzpolitik. Das Stimmungshoch der „Grünen“ in diesem Lande könnte also bald auch an der Börse eine wichtige Rolle spielen.

Kolumne von Andreas Kern, Gründer und CEO der wikifolio Technologies AG