Kontroverse Positionen treffen aufeinander

24.07.2013

Tobias E. Weissflog und Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler

**Gute Argumente treffen im Streitgespräch aufeinander. Heute im Ring: *Honorarberatung gegen Provisionsberatung*. Die Positionen werden von *Thomas E. Weissflog*, Vorstand des Bund der Versicherten e.V., und **Prof. Dr. Hans-Wilhelm Zeidler, bis Mai dieses Jahres Vorstand der Zurich Deutschland Maklervertrieb Leben, vertreten.

Tobias E. Weissflog, Vorsitzender des Vorstands Bund der Versicherten e.V. Der 1982 gegründete Bund der Versicherten e.V. ist mit mehr als 52.000 Mitgliedern Deutschlands größte unabhängige und gemeinnützige Verbraucherschutzorganisation für private Versicherungsfragen.

Professor Dr. Hans-Wilhelm Zeidler war bis Mai 2013 Vorstand der Zurich Deutschland Maklervertrieb Leben. Er hat sich 65-jährig aus dem beruflichen Alltag verabschiedet. Nach 34 Jahren in der Versicherungswirtschaft wird der Best-Ager aber auch künftig der Branche erhalten bleiben.

Weissflog: Auf die Gefahr hin, anzuecken: Die provisionsbasierte Beratung sollte schnellstens zum Auslaufmodell werden. Meiner Meinung nach ist sie nicht in der Lage, zu einem optimalen Ergebnis für den Kunden zu gelangen. Stattdessen dominiert die Jagd nach Provisionsmaximierung. Wir benötigen zügig den Schritt zu unabhängiger Honorarberatung.

Zeidler: Seien wir objektiv: Die provisionsbasierte Beratung hat seit den 50er Jahren dazu beigetragen, ein bislang unerhört großes, breit verteiltes Volksvermögen aufzubauen. Sie hat die Menschen dazu gebracht, zu sparen und Risiken abzusichern. Es fällt mir schwer, zu erkennen, dass das ein Fehler gewesen sein soll und warum dies von heute auf sofort in Richtung eines unerprobten Modells für den Gesamtmarkt umgebaut werden sollte.

Weissflog: Provisionsorientierte Beratung motiviert nicht dazu, im Kundensinne zu beraten, sondern dazu, die Höhe der Provision zu maximieren. Es werden daher im Zweifel Produkte vermittelt, die der Kunde nicht braucht, die für seinen Bedarf falsch sind und die vornehmlich nach Provision, nicht nach Qualität ausgesucht werden. Vermögen wird so vernichtet, nicht aufgebaut. Im Übrigen wäre das Volksvermögen auch ohne Provisionsberatung kräftig gewachsen, wir hatten ja ein Wirtschaftswunder.

Zeidler: Das ist sicher eine Meinung, nur muss man sie nicht teilen. Altersvorsorge, Kranken- und Sachversicherungen machen uns die Endlichkeit des eigenen Lebens und die Zerbrechlichkeit der eigenen Gesundheit, der eigenen Lebensumstände klar. Viele von uns scheuen sich daher, sich damit auseinanderzusetzen. Hier ist die Nachhilfe des Beraters gefragt. Wenn er provisionsbasiert, d. h. erfolgsorientiert arbeitet, bleibt er dran, hakt nach, lässt sich nicht durch falsche Scheu beirren. Er hat meiner Meinung nach genau das gleiche Ziel wie der Kunde: Ein gutes Produkt für den herausanalysierten Bedarf des Kunden zu finden.

Weissflog: Das mag noch in den 60ern sicher gestimmt haben. Heute sind Versicherungsprodukte meist zu komplex, als dass sie der durchschnittliche, provisionsgetriebene Vermittler noch umreißen kann. Das ist nicht seine Schuld, diese Produkte werden von den Spezialisten in den Glaspalästen der Versicherer erdacht und umgesetzt. Dem Vertrieb bleibt meist nur übrig, diese an den Mann zu bringen oder es sein zu lassen. Wer kann denn schon schlüssig und fehlerfrei erklären, was genau ein Drei-Topf-Hybridprodukt ist und wie es im Einzelfall, mit allen Folgen für den Kunden, genau ausgestaltet ist? Wer weiß denn schon, dass er mit bestimmten „Vorsorgeprodukten" den Versicherer schlicht und einfach mit seinen Altersersparnissen zocken lässt? Hier hilft nur ein unabhängiger Berater, der für seine Arbeit so bezahlt wird wie ein Anwalt oder Steuerberater: nach seinem Aufwand für unabhängige Beratung.

Zeidler: Sicher sind einige Produkte komplexer geworden, denn sie müssen heute Risiken beherrschen, die es früher schlicht nicht gab. Dennoch: Vorsorgeprodukte und Sachversicherungen sind so gut wie alle Verkaufsprodukte – kaum einer fragt sie von sich aus nach. Stellen Sie sich vor, es gibt Honorarberatung – und keiner geht hin. Es gibt nichts Gefährlicheres als unterversichert, oder schlimmer noch, gar nicht abgesichert zu sein. Ein hoher Prozentsatz der Versicherten kommt durchs Leben, ohne jemals die Versicherung für Wasser- oder Feuerschäden in Anspruch nehmen zu müssen – was ja eine Funktionsgrundlage der Versicherung ist. Aber – ist das ein Grund, keine zu haben? Hand aufs Herz, diese ach so bösen provisionsgetriebenen Berater hätten viele Mitbürger doch kaum eine Absicherung.

Weissflog: Für den unabhängigen Makler, der gewissenhaft langfristige Kundenbeziehungen sucht und dabei mit viel Aufwand erstklassige Arbeit bietet, gilt das mit Sicherheit. Aber was ist mit den Ausschließlichkeitsvermittlern? Und denen, die für große Strukturen arbeiten? Glaubt man Branchenprofis, so werden dort Produkte vorausgewählt und das nicht nur, aber zum großen Teil nach der Provision. Klar – solche Strukturen müssen sich ja finanzieren. Der Kunde zahlt dann auch die Flotte von S-Klassen der Vertriebsfürsten. Kundenfreundlichkeit geht meiner bescheidenen Meinung nach anders. Ganz anders.

Zeidler: Sie lassen aber auch kein abgedroschenes Klischee aus. Die sind namentlich bekannt, das ist eine Minderheit. Sicher muss denen noch mehr auf die Finger geschaut werden. Dennoch hat z. B. das VVG mit allen Anforderungen an Ausbildung, Dokumentation und Beratungshaftung entscheidende Fortschritte im Kundensinne gebracht. Der ehrliche Berater kann doch nicht für solche Sonderfälle verantwortlich gemacht werden. Viele Gebrauchtwagenhändler verkaufen bspw. jeden Tag mehr und in größerem Volumen als ein Vermittler von Kompositversicherungen. Diese Händler sind aber nicht reguliert, haben keine Dokumentations- und Ausbildungspflicht. Wie passt das zusammen?

Weissflog: Ich hätte nichts dagegen, das Gebrauchtwagenhändler ähnlich reguliert werden und ebenso hart für ihre Produkte haften.

Zeidler: Da sind wir endlich einmal einer Meinung. Aber ernsthaft: Bezieher kleiner Einkommen können sich eine Honorarberatung doch gar nicht leisten: Wie soll denn eine ordentliche, objektive Beratung eines hoch ausgebildeten Spezialisten für unter 100 Euro pro Stunde erbracht werden? Wer kann sich denn eine Beratung zu bspw. fünf Mal eine Stunde zu 100 Euro, macht 500 Euro plus Mehrwertsteuer, leisten? Das würde doch dazu führen, dass gerade solche Menschen, die eine Absicherung brauchen, darauf verzichten müssen, weil sie sich die hohe Schwelle des Beratungshonorars nicht leisten können! Provisionsberatung ist hier die einzige praktikable Lösung: Der Berater macht eine Mischkalkulation auf und „subventioniert" intern die Abschlüsse. Die Qualität leidet darunter nicht.

Weissflog: Aber nicht doch. Es gibt einen einfachen Weg, wie sich auch der Ärmste eine erstklassige Honorarberatung leisten könnte. Und das Beste: So etwas gibt es in anderen Bereichen schon.

Zeidler: Und was mag das sein?

Weissflog: Sie kennen doch das Konstrukt der Prozesskostenhilfe: In Deutschland kann jeder, auch wenn er mittellos sein sollte, einen berechtigten Prozess führen, also Recht bekommen. Recht ist bei uns nicht nur für Reiche da, warum sollte das bei guter Absicherung und Altersvorsorge anders sein? Ganz einfach: Unterhalb einer gewissen Einkommensgrenze tritt eine Art staatlicher Kostenhilfe für die Honorarberatung ein. Unabhängige Honorarberatung für Jedermann, sofort.

Zeidler: Gut gebrüllt, Löwe. Aber es kann doch nicht sein, dass wieder nach dem Staat als Dauerzahler für alle und alles gerufen werden soll. Wer soll denn das am Ende bezahlen?

Weissflog: Ich kann nicht nachvollziehen, warum das Teufelswerk sein sollte. Wahrscheinlich finanziert es sich durch Vermeidung volkswirtschaftlicher Schäden von ganz allein.

Zeidler: Sehen Sie dafür realistisch eine Zukunft?

Weissflog: Heute und morgen sicher nicht. Aber ich bin optimistisch, und steter Tropfen höhlt bekanntlich den Stein. Bis dahin wird die Honorarberatung ganz von selbst an Bedeutung gewinnen. Dadurch entsteht eine heilsame Konkurrenz zwischen den Beratungsarten „Honorar" gegen „Provision", jeder muss auf seine Weise besser werden. Und das nützt am Ende dem Kunden.

Zeidler: Möge also die beste Beratung gewinnen. Der Kunde ist dann auf jeden Fall Gewinner. Da bin ich ganz bei Ihnen. Es liegt für mich auf der Hand, wer sich durchsetzen wird.

Weissflog: Glasklar, das ist überhaupt keine Frage.

Zeidler: Ein duales System aus Provisionsberatung und Honorarberatung, ohne Zwang und ohne Subventionen.

Weissflog: Die Honorarberatung.

Das Streitgespräch - Printausgabe 04/2013