Komplizierter als gedacht
07.05.2015
Foto: © Mopic - Fotolia.com
Um die Höhe der versicherten Rente an den steigenden Lebensstandard anzupassen, können in der Berufsunfähigkeitsversicherung verschiedene Dynamikarten eingebaut werden. Und eine alte Verkäuferweisheit lautet: „Je jünger man ist, desto wichtiger ist es, in seiner Berufsunfähigkeitsversicherung Dynamisierungen einzubauen." Ist das wirklich richtig?
Betrachten wir zunächst die sogenannte Beitragsdynamik. Sie greift, solange der Versicherungsfall noch nicht eingetreten ist. Hier wird der Beitrag und damit dem neuen „Eintrittsalter" entsprechend auch die versicherte Leistung dynamisiert. Abgesehen davon, dass im Laufe der Zeit die zu zahlenden Beiträge kräftig steigen können, werden natürlich auch die versicherten Berufsunfähigkeitsrenten immer höher; es kann ohne weiteres sogar passieren, dass sie das Einkommen des Versicherten übersteigen.
Manch ein Versicherer versucht die stetige Erhöhung der versicherten Rente durch bestimmte Begrenzungen in den Bedingungen zu regeln:
- Das Recht auf Dynamik erlischt nach einem bestimmten Zeitraum oder ab einem bestimmten Alter des Versicherten. Diese Regelungen sind teilweise sehr restriktiv und daher nicht zu empfehlen, wenn das Recht auf Dynamik sehr früh erlischt, beispielsweise „10 Jahre nach Versicherungsbeginn" oder „mit dem 45. Lebensjahr".
- Eine andere Möglichkeit ist die Begrenzung der Rentenhöhe, die durch die Dynamiken erreicht werden darf. Oft genannt werden hier 30.000 Euro jährliche BU-Rente. Auf den ersten Blick und vor allem für Berufsanfänger ist das ja eine stattliche Summe. Aber mancher Versicherungsnehmer schließt seine BU über 40 oder fast 50 Jahre Laufzeit ab. In dieser Zeit wird eine Inflationsrate die Kaufkraft signifikant reduzieren: Eine durchschnittliche Inflationsrate von 2 % vorausgesetzt, sind diese 30.000 Euro nach 30 Jahren noch 16.473 Euro und nach 40 Jahren gar nur noch 13.489 Euro wert. Deshalb müsste der Versicherte zum Ausgleich eine Beitragsdynamik in Höhe von 2 % in seinen Vertrag einschließen. Dann aber würde die versicherte BU-Rente nach 20 Jahren bereits 44.740 Euro oder nach 40 Jahren gar 66.722 Euro betragen. Deshalb gibt es Anbieter, die ihren Kunden ab einer bestimmten erreichten Rentenhöhe einfach weitere Erhöhungen untersagen.
- Weniger gut ist es auch, wenn der Kunde selbst nachrechnen muss, ob er eine Dynamik annehmen darf oder nicht: „[…] übersteigt diese […] 70 % des Bruttoeinkommens im letzten Kalenderjahr, müssen Sie der Erhöhung widersprechen." Was passiert, wenn er diese Berechnung nicht macht oder sich verrechnet? Dann „[…] sind wir grundsätzlich von der Verpflichtung zur Leistung aus dieser Erhöhung frei". Zwar erstattet der Versicherer die zu viel bezahlten Beiträge im Leistungsfall – sogar verzinst – zurück. Endet aber der Vertrag ohne Leistung, findet seitens des Versicherers nie eine Rückzahlung statt.
- Die beste Regelung für die Beitragsdynamik ist immer noch die, dass diese „[…] ein Jahr vor Ablauf der Beitragszahlung […]" endet.
Diese Beispiele zeigen, dass sich die angebotenen Tarife teils sehr stark im Bereich der Dynamiken unterscheiden. Mag sich der geneigte Leser selbst ein Bild zu seinen favorisierten Tarifen machen. Der Einschluss einer Beitragsdynamik ist aber, schon als Inflationsausgleich sinnvoll und immer mit einzuschließen.
Eine seit langem strapazierte Beratungsregel:
Risikoabsicherung und Kapitalaufbau trennen. Zum einen, weil ein guter KLV-Anbieter im speziellen Fall kein optimaler BU-Anbieter ist, oder zum anderen, weil man bei Krankheit oder Arbeitslosigkeit weniger flexibel ist. Aber auch hier gilt wie bei allen Gemeinplätzen: keine Regel ohne Ausnahme. Mittlerweile bieten einige Versicherer eine Beitragsdynamik für die Hauptversicherung an, die auch oder gar erst im BU-Leistungsfall greift. Wird ein junger Mensch lange Zeit berufsunfähig, dann ist das für ihn eine ideale Möglichkeit, sein benötigtes Vermögen fürs Alter aufzubauen.
Last but not least: Die Leistungsdynamiken. Hier gibt es zwei Arten zu unterscheiden:
- Leistungsdynamik durch Überschüsse: Im Leistungsfall bezahlt die Beitragsbefreiung nicht den jeweiligen Netto-, sondern immer den Bruttobeitrag. Die entstehende Differenz schüttet der Versicherer nicht an den Versicherten aus, sondern er stellt damit eine Leistungsdynamik dar. Diese Dynamik kann es daher nur geben, wenn es Überschüsse gibt, weshalb sie, ebenso wie die Überschüsse selbst, nicht garantiert werden kann.
- Leistungsdynamik durch erhöhte Beiträge: Der Versicherer garantiert eine Leistungsdynamik in Höhe eines vorgegebenen Prozentsatzes, unabhängig von den Überschüssen. Allerdings verlangen Versicherer hierfür zusätzliche Beiträge, und die können mitunter richtig ins Geld gehen: ein Prozentpunkt garantierter Leistungsdynamik kostet um die 10 % mehr Beitrag.
Man beachte:
Will man Versicherer anhand der derzeitigen Höhe der Überschussdynamisierung vergleichen, darf nicht bloß der Prozentsatz verglichen werden. Der eine Versicherer bezieht den Prozentsatz immer auf die ursprüngliche BU-Rente, andere auf die Vorjahresrente, und wieder andere auf die BU-Leistungshöhe (= Rente und Beitrag).
Oft hört man, dass es umso sinnvoller sei, die garantierte Leistungsdynamik in den BU-Vertrag mit einzuschließen, je jünger der Versicherte sei. Das kann man so sehen, muss man aber nicht. Interne Statistiken der Versicherer zeigen, dass die durchschnittliche Leistungsdauer etwa vier Jahre beträgt. Bei einer Inflationsrate von 2 % p. a. verliert man in vier Jahren 8,24 % Kaufkraft. Statistisch gesehen, braucht man diese garantierte Dynamik also eher nicht. Allerdings interessiert die Statistik im Einzelfall überhaupt nicht. Wenn der Kunde also die Möglichkeit hat, eine schleichende Entwertung seiner BU-Rente durch einen kleinen Mehrbeitrag zu umgehen, dann sollte er das tun. Sofern es aber aus finanziellen Gründen in Erwägung gezogen wird, den Versicherungsschutz zu mindern durch Kürzung der Rentenhöhe, der Leistungsdauer oder des Umfangs, dann bietet sich hier eine sinnvolle Möglichkeit, einen ordentlichen Beitrag ohne ein außerordentlich hohes Risiko einsparen zu können.
_
Stephan Kaiser, Geschäftsführer BU-Expertenservice GmbH
_
Philip Wenzel, freche Versicherungsmakler GmbH & Co. KG