„Klimawandel und Verlust der biologischen Vielfalt verstärken sich gar gegenseitig“

25.08.2021

Verena Kienel und Mathias Pianowski, beide stellvertretende Abteilungsleiter des Nachhaltigkeitsresearch bei ÖKOWORLD / Fotos: © ÖKOWORLD

Biodiversität ist wichtig. Oftmals wird sie synonym zur Artenvielfalt verwendet. Zu Recht? finanzwelt bot sich die Gelegenheit eines Exklusivinterviews mit Kennern der Materie. Verena Kienel und Mathias Pianowski, beide stellvertretende Abteilungsleiter des Nachhaltigkeitsresearch bei ÖKOWORLD.

finanzwelt: Wir möchten heute über Biodiversität reden. Zunächst zur Einordnung – was lässt sich unter diesem Begriff subsumieren? Mathias Pianowski: Da treffen Sie einen wichtigen Punkt. Biodiversität wird nämlich oft mit Artenvielfalt gleichgesetzt. Doch das greift zu kurz. Die Millionen existierender Arten sind zweifelsohne wichtig, gleichwohl sind sie nur ein Teil der biologischen Vielfalt. Unter Biodiversität versteht man zudem auch die genetische Vielfalt innerhalb von Arten sowie die Vielfalt der Ökosysteme. Biodiversität ist unsere Lebensgrundlage. Wir können ohne diese Vielfalt des Lebens nicht existieren.

finanzwelt: Einverstanden. Und Sie würden sagen, dass es um die Biodiversität weltweit nicht gut bestellt ist? Pianowski: Absolut. Die Schäden an der Biosphäre gehören zu den planetaren Grenzen, bei denen wir schon längst im hohen Risiko sind. Wir haben die meisten der so genannten Aichi-Ziele zum internationalen Schutz der Biodiversität für die Jahre 2010-2020 weit verfehlt. Das letzte Jahrzehnt haben wir also wieder einmal verloren. Seit den 1970er Jahren haben wir die Wildtiere in Biomasse gesehen um zwei Drittel reduziert. Von allen Säugetieren, die heute an Land leben, sind nur noch 4 % Wildtiere. Das soll gut gehen? Auch um die Ökosysteme steht es nicht besser. Wir haben nur noch 34 wertvolle Hotspots auf der Welt. Da geht es auch um die Landfläche, auf der die Hälfte aller Pflanzenarten und drei Viertel aller Landwirkbeltierarten leben. 86 % dieser extrem wertvollen Orte haben wir bereits vernichtet. Auch für Deutschland stellt das Bundesamt für Naturschutz fest, dass drei Viertel aller Biotope gefährdet oder nicht mehr intakt sind.

finanzwelt: Das ökologische Gleichgewicht gerät sodann aus den Fugen… Verena Kienel: Natürlich leiden ökologische Gleichgewichte unter dieser Fehlentwicklung und werden massiv beeinträchtigt. Fachleute warnen vor einem katastrophalen Kollaps der Ökosysteme. Nehmen Sie beispielsweise den dramatischen Rückgang der Insektenarten. Insekten kommt eine unverzichtbare Rolle in unseren Ökosystemen zu: sie sind nicht nur Bestäuber, also für die Fortpflanzung unzähliger Pflanzenarten unerlässlich. Sie spielen auch in der Nahrungskette insgesamt eine besondere Rolle, regulieren Schädlinge und bearbeiten Böden. Mit anderen Worten – sie sind Voraussetzung für unsere Nahrungsmittelproduktion. Auf den ersten Blick nehmen wir allerdings “nur” den schieren Rückgang bei der Insektenartenzahl wahr, ohne die damit zusammenhängenden Folgen ausreichend im Blick zu haben. Dabei ist eine intakte Natur von existentieller Bedeutung für uns alle.

finanzwelt: Das ökologische Gleichgewicht gerät sodann aus den Fugen… Verena Kienel: Natürlich leiden ökologische Gleichgewichte unter dieser Fehlentwicklung und werden massiv beeinträchtigt. Fachleute warnen vor einem katastrophalen Kollaps der Ökosysteme. Nehmen Sie beispielsweise den dramatischen Rückgang der Insektenarten. Insekten kommt eine unverzichtbare Rolle in unseren Ökosystemen zu: sie sind nicht nur Bestäuber, also für die Fortpflanzung unzähliger Pflanzenarten unerlässlich. Sie spielen auch in der Nahrungskette insgesamt eine besondere Rolle, regulieren Schädlinge und bearbeiten Böden. Mit anderen Worten – sie sind Voraussetzung für unsere Nahrungsmittelproduktion. Auf den ersten Blick nehmen wir allerdings ‚nur‘ den schieren Rückgang bei der Insektenartenzahl wahr, ohne die damit zusammenhängenden Folgen ausreichend im Blick zu haben. Dabei ist eine intakte Natur von existentieller Bedeutung für uns alle.

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