Kiffen gegen Corona? Wir fragen Experten

14.01.2022

(v.l.n.r) Stefan Langer (CSO, Founder) und Sebastian Pötzsch (CFO, Co-Founder)

Eine neue Studie aus den USA sorgt gerade für Schlagzeilen. In den Berichten heißt es, zwei Cannabinoide sollen wirksam sein im Kampf gegen Corona. Entsprechende Präparate könnten laut Medienberichten sowohl zur Vorbeugung als auch zur Behandlung von Covid-19 eingesetzt werden. Im finanzwelt-Interview mit Sebastian Pötzsch, Co-Founder von Bavaria Weed, ordnen wir diese Nachrichten ein und sprechen über mögliche Folgen für Cannabis als Sachwert-Investment:

finanzwelt: Die in Cannabis enthaltenen Säuren CBGA und CBDA sollen laut einer aktuellen Studie der Oregon State University vor Corona schützen. Wie aufwendig ist die Extraktion dieser Säuren? Pötzsch: Technisch wäre das möglich, aber nicht sinnvoll. CDBA ist die Vorläufersubstanz von CBD, und daher in bestimmten Cannabissorten auch in relativ hoher Menge enthalten. CBGA liegt in der Regel in deutlich geringeren Mengen vor, so dass eine Isolierung mehr Cannabis-Material erfordern würde, und damit ggf. unwirtschaftlich sein könnte. Siehe aber auch die Folgepunkte.

finanzwelt: Sind diese Säuren auch in Freizeit-Cannabis enthalten, oder anders ausgedrückt: Schützt Kiffen vor Corona? Pötzsch: Eine positive Antwort auf die Frage kann zum jetzigen Zeitpunkt niemand geben, weil es dafür null Daten gibt. Dafür aber muss man sich darüber im Klaren sein, dass man, um eine wirksame Dosis von CBDA und CBGA in der Lunge zu erreichen, sehr hohe Mengen an Cannabis rauchen müsste. Damit führen Sie aber auch entsprechende Dosen von THC zu, und das wäre in die Nutzen-Risiko-Bewertung aufzunehmen.

Aber ja, die Stoffe sind auch in Freizeit-Cannabis enthalten, zumindest in bestimmten Sorten. Sie werden beim Kiffen nur nicht in dieser Form aufgenommen. Beide Substanzen sind sogenannte Prodrugs, die beim Erhitzen beim Rauchen durch Abspaltung von Kohlendioxid (der „A“ für Acid-Teil im Namen) den eigentlichen Wirkstoff freisetzen. Dies würde auch bei oraler Aufnahme (wie vom Studienleiter erwähnt) geschehen, dann aber in der Leber. Das bedeutet, dass beide Stoffe in dieser Form am Wirkort nur in sehr geringen Mengen ankommen würden, was bei Überlegungen zu klinischen Anwendungen dicke Fragezeichen setzen würde. Von der oralen Anwendung hatte der Autor in Interviews gesprochen. Dabei kursieren im Organismus sehr geringe Mengen an CBDA und CBGA. Um die Viren durch Bindung am Spike-Protein am Eindringen zu hemmen, müssten die Stoffe aber in der Lunge in höherer Konzentration vorliegen. Das ist beim Rauchen noch vorstellbar (von der Spaltung der Stoffe beim Erhitzen mal abgesehen), stellt sich mir aber bei oraler Aufnahme nicht dar.

finanzwelt: Wenn aus diesen Säuren ein Corona-Medikament hergestellt werden sollte, wie hoch wäre das Risiko von Cannabis-Lieferengpässen aufgrund der erhöhten Nachfrage? Pötzsch: Das Problem stellt sich nicht. Um ein Arzneimittel zuzulassen, müssen zunächst Entwicklungsphasen durchlaufen werden, die üblicherweise mehrere Jahre in Anspruch nehmen und nicht abgekürzt werden können, es sei denn, man kann wie bei den Impfstoffen die Behörden zu einem rolling Review bringen. Dass das in diesem Zusammenhang geschieht, kann aber praktisch ausgeschlossen werden. Zudem würde das nur die Dauer der Dossierprüfung verkürzen, aber nicht die Dauer der Studien selbst.

Zu den vorgeschriebenen Prüfungen zählen toxikologische Testungen, die es für diese Substanzen noch nicht gibt, pharmakokinetische Studien am Gesunden und am Patienten, und randomisierte klinische Studien zu Nachweis der Wirksamkeit gegen Placebo, um nur die großen Hindernisse zu erwähnen. Zuvor müssen Sie aber erst einmal ein Verfahren haben, um die Wirkstoffe zu isolieren oder zu synthetisieren, und deren Reinheit darstellen. Da dies alles viel Zeit in Anspruch nimmt (und das ganze Verfahren bei jedem Meilenstein scheitern kann), hätte man genügend Zeit, sich um die Frage der kontrollierten Herkunft des Materials zu kümmern. Medizinisches Cannabis stammt immer aus kontrolliertem Anbau, und der lässt sich planen.

finanzwelt: Welche Auswirkungen hätte solch ein Corona-Medikament auf Cannabis als Sachwert-Investment? Pötzsch: Zu ökonomischen Fragestellungen kann ich als Wissenschaftler nicht Stellung beziehen. Würde sich der Effekt tatsächlich auch klinisch bestätigen lassen, könnte ich mir vorstellen, dass dies wirtschaftlich durchaus von Interesse sein könnte, aber erstens ist es mehr als fraglich, dass dieses Konzept überhaupt klinisch von Relevanz ist, und zweitens ist optimistisch davon auszugehen, dass Corona endemisch ist, bevor die Arzneimittelentwicklung abgeschlossen ist. Das Interesse dürfte dann nicht mehr so groß sein. (sh)