Kein Beratungsanlass durch gewöhnlichen Verlauf einer Berufsunfähigkeitsversicherung

25.04.2023

Jens Reichow ist Fachanwalt für Bank- und KapitalmarktrechtFachanwalt für Handels- und GesellschaftsrechtJöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Parnterschaft mbB

Das OLG Brandenburg hatte mit Urteil vom 11.01.2023 (Az.: 11 U 34/22) über die Beratungspflichten des Versicherers und des Versicherungsvertreters während des Laufes einer Berufsunfähigkeitsversicherung zu entscheiden.

Keine Anpassung des Versicherungsschutzes trotz beruflicher Fortentwicklung

Die Versicherungsnehmerin machte zu Beginn Ihrer beruflichen Karriere eine Ausbildung und schloss in dieser Zeit eine Berufsunfähigkeitsversicherung in Höhe ihres damaligen Ausbildungsgehaltes von 750 € ab. Der zuständige Versicherungsvertreter stand auch privat mit der Versicherungsnehmerin im Kontakt. So waren diesem auch die beruflichen Veränderungen und Weiterbildungen der Versicherungsnehmerin bekannt, zu welchen es nach der erfolgreichen Beendigung der Ausbildung kam. Auch über die weiteren Änderungen im Leben der Versicherungsnehmerin, wie der gemeinsame Immobilienerwerb mit ihrem Ehemann, war der Versicherungsvertreter informiert. Er vermittelte in diesem Zusammenhang sogar eine Wohngebäudeversicherung.

Bedauerlicherweise erkrankte die Versicherungsnehmerin an Krebs. Sie beantragte daraufhin Leistungen aus Ihrer Berufsunfähigkeitsversicherung (siehe hierzu Berufsunfähigkeit beantragen). Der Versicherer erkannte daraufhin auch Leistungen aus der Berufsunfähigkeitsversicherung für einen gewissen Zeitraum an, jedoch der Höhe nach lediglich um Umfang der ursprünglich versicherten Berufsunfähigkeitsrente. Die tatsächlichen Lebenserhaltungskosten der Versicherungsnehmerin waren zum Zeitpunkt ihrer Berufsunfähigkeit jedoch deutlich höher. Sie verlangte daher vom Versicherer und vom Versicherungsvertreter Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen ihrem tatsächlichen Versorgungsbedarf und der tatsächlich gezahlten Berufsunfähigkeitsrente in Höhe ihres ehemaligen Ausbildungsgehaltes.

OLG Brandenburg verneint Beratungsanlass

Das LG Cottbus wies die Klage der Versicherungsnehmerin jedoch ab und auch die hiergegen vor dem OLG Brandenburg eingelegte Berufung hatte keinen Erfolg.

Im Ergebnis vereinte das OLG Brandenburg einen Beratungsanlass nach § 6 Abs.4 VVG. Ein solcher Beratungsanlass könne nach Ansicht des Gerichts nicht alleine aus dem gewöhnlichen Verlauf einer Berufsunfähigkeitsversicherung resultieren.

Das OLG führte aus, dass eine Berücksichtigung der Bedarfsänderung durch berufliche und persönliche Entwicklung lediglich der Versicherungsnehmerin oblag. Sowohl der Versicherer als auch der Versicherungsvertreter verfügten über keinen Wissensvorsprung noch über Informationen, die erkennen ließen, dass die Versicherungsnehmerin falsche Vorstellungen über den Umfang ihres Versicherungsschutzes hatte. Auch der private Kontakt des Versicherungsvertreters schuf kein Beratungsanlass. Die vorhandene Deckungslücke war für die Versicherungsnehmerin selbst erkennbar gewesen und sie hätte sich somit selbst darum kümmern müssen eine bestehende Versorgungslücke zu schließen, sofern überhaupt Interesse daran seitens der Versicherungsnehmerin bestand. Wenn dies übersehen wurde, so fällt es im Vorliegenden nicht dem Versicherer oder dem Versicherungsvertreter zur Last.

Fazit und Hinweis für die Praxis

Die Entscheidung des OLG Brandenburg zeigt, dass demnach nicht jede Veränderung der Kundensituation einen Beratungsanlass darstellt. Vielmehr hat auch der Versicherungs-nehmer die Verpflichtung auf ihn bekannte Umstände zu reagieren und ggf. auf eine Anpassung des Versicherungsschutzes hinzuwirken.

Kolumne von  Jens Reichow, Fachanwalt für Bank- und Kapitalmarktrecht
Fachanwalt für Handels- und Gesellschaftsrecht