Kann der breite Aktienmarkt den Seitwärtstrend durchbrechen?

30.10.2023

Felix Grimme. Foto: Franzen Gerber & Westphalen Asset Management GmbH.

Das aktuelle konjunkturelle Umfeld in den Industrieländern ist durch einige Besonderheiten gekennzeichnet. Erstens handelt es sich um eine klassische zyklische Abkühlung, was wir eigentlich kaum noch kennen. Nach der starken Wiederbelebung nach der Coronapandemie ist es wenig überraschend, dass sich die Wirtschaftsentwicklung verlangsamt. Zweitens existiert trotz der Abschwächung immer noch ein großer Arbeitskräftemangel in den Industrieländern. Obwohl die Konjunkturlage schwach ist, wird die Arbeitslosigkeit historisch tief bleiben. Und dies führt zum dritten Sondereffekt: Durch den stabilen Arbeitsmarkt wird der Konsum vermutlich solide bleiben und nicht einbrechen.

Zudem hat dies auch einen festigenden Effekt am Häusermarkt. In den letzten Monaten mehrten die Hinweise, dass die Inflation auf ausreichend tiefe Niveaus sinkt, sodass die Fed die Zinsen nicht mehr viel weiter anheben muss, und dass die US-Wirtschaft stark genug ist, um trotz der bisherigen Zinserhöhungen von 525 Basispunkte eine Rezession in naher Zukunft zu verhindern. Ferner erreichen einige wichtige Frühindikatoren allmählich die Talsohle oder drehen wieder nach oben, wie beispielsweise das Konsumentenvertrauen und der Einkaufsmanager-Index für die Industrie.

Wendepunkt beim Einkaufsmanager-Index erreicht

All diese Punkte sprechen für eine „sanfte Landung“ für die US-Wirtschaft, bei der sich die Inflation den Zielwert der Fed nähert, ohne dass es in diesem Jahr zu einer Rezession kommt. Allerdings entspricht dieses Szenario nicht einem typischen „Goldilock- Szenario", also die perfekte Mitte für Aktien, da die Kerninflation noch zu hoch ist und die Fed die Zinsen wahrscheinlich eine Zeit lang auf hohen Niveaus halten dürfte. Zudem können die Zweitrundeneffekte, zu erwartende Mieterhöhungen und wieder steigende Energiekosten in den kommenden Monaten die Inflation wieder temporär etwas erhöhen. China wird zwar im aktuellen Zyklus die Weltwirtschaft nicht antreiben, da es seine eigenen Probleme lösen muss, jedoch kann das gedämpfte Wachstum sich dann auch positiv auf die Inflationsentwicklung in den westlichen Ländern auswirken.

Trotz dieser vielschichtigen Unsicherheiten sind die Unternehmensgewinne weniger deutlich gesunken und der Optimus rund um das Thema künstliche Intelligenz trieb die Aktienbewertungen (vor allem bei US-Technologieunternehmen) höher. Wir gehen davon aus, dass die künstliche Intelligenz kurzfristig zu höheren Investitionen und langfristig zu einer höheren Produktivität führt und sich dadurch die Aussichten für das Wirtschaftswachstum in den nächsten Monaten bzw. Jahren verbessern können. Auch die Gewinnschätzungen der Analysten verbessern sich wieder und wir rechnen mit einem Gewinnwachstum von neun Prozent im nächsten Jahr. Zwar scheinen die Bewertungskennzahlen auf Indexebene wieder recht hoch, allerdings sind sie insbesondere durch die Sommerrally bei den Wachstumswerten (bzw. großen Technologieunternehmen) getrieben. Selbst wenn es zu keiner größeren Abwärtsbewegung bei den hochkapitalisierten Technologieaktien mehr kommt, sind weitere große Zuwächse im 4. Quartal aufgrund der bestehenden Unsicherheiten nicht wahrscheinlich. Dennoch könnte der Aktienmarkt in den nächsten Monaten vor allem durch Unternehmen getragen werden, die sich bis jetzt von den Tiefständen noch kaum nach oben entwickelt haben und trotzdem über ein aussichtsreiches bzw. stabiles Geschäftsmodell verfügen (zum Beispiel Unternehmen mit Bezug zu sauberer Energie). Dazu zählen auch Teile des Technologiesektors, die weniger anfällig gegenüber einer Konjunkturverlangsamung sind und während der jüngsten Rally abgehängt wurden.

Allerdings ist die Konkurrenz für Aktien immer noch groß und gerade in den USA ist die Rendite der Anleihen im Vergleich zu der Dividendenrendite von Aktien attraktiv. In Deutschland ist das Verhältnis nicht so ungünstig, weil die Dividendenrendite höher ist (aufgrund weniger Aktienrückkäufe) und die Anleiherendite niedriger.

Marktkommentar von Felix Grimme, Syndikus und verantwortlich für Akquisitionen und Kundenbetreuung bei Franzen Gerber & Westphalen Asset Management GmbH.