Japans Negativzinspolitik – Europa, hörst du die Signale?
05.10.2016
Andrew Wilson
EZB ist auf Fiskalstimuli angewiesen
In einer traditionellen Wirtschaft wäre der logische nächste Schritt, dass die politischen Entscheidungsträger die Grenzen der Geldpolitik erkennen. Sie müssten akzeptieren, dass haushaltspolitische Lockerungsmaßnahmen erforderlich sind, zum Beispiel durch höhere Infrastrukturausgaben. Deutschland als führende Volkswirtschaft der EU hat dazu sicherlich die nötigen Mittel, sieht aber kaum Anreize für derartige Maßnahmen im Inland. Hier ist die öffentliche Infrastruktur bereits mehr als solide. Gleichzeitig ist die Öffentlichkeit nicht bereit, derartige Programme in anderen Ländern der EU zu finanzieren. Nicht zum ersten Mal erweist sich die einzigartige Struktur der EU mit ihrem einheitlichen Wirtschaftsraum als Hindernis für die Politik.
Ohne diese fiskalischen Impulse seitens der Politik bleiben der EZB kaum Alternativen zu ihrem derzeitigen Kurs – und zu der Hoffnung, dass die bereits in die Wege geleiteten Maßnahmen letztendlich doch die gewünschten Impulse liefern. Das Problem ist, dass solche Maßnahmen nicht unbegrenzt fortgeführt werden können.
Warum die Bank of England das Pfund abwerten könnte
Großbritannien ist in einer besseren Position als die Eurozone. Die langfristigen Auswirkungen des Brexit-Votums sind zwar alles andere als klar, doch jene Konjunkturinformationen, die nach dem Referendum veröffentlicht wurden, sind keineswegs apokalyptisch. Gleichzeitig konzentriert sich die neue Regierung viel weniger auf Sparmaßnahmen als die Vorgängerregierung.
Die Herausforderung für Großbritannien besteht darin, dass es eine kleine, offene Volkswirtschaft mit einem großen Leistungsbilanzdefizit ist und kontinuierlich Finanzmittel aus dem Ausland benötigt. Sollte die Wirtschaft ins Stocken geraten, stehen Großbritannien währungspolitische Möglichkeiten offen, die die einzelnen Länder der Eurozone nicht haben: Die Bank of England kann die Währung gezielt abwerten und so die Attraktivität fürausländische Anleger erhöhen.
Dies ist eine zentrale Möglichkeit der Währungspolitik, wenngleich sie nicht ganz zuverlässig ist: Wenn alle Länder abwerten – es also zu einem Währungskrieg kommt – könnte der Vorteil, den ein schwächeres Pfund bietet, nicht gegeben sein, wenn er benötigt wird. Und wenn das Defizit ein untragbares Ausmaß erreicht, könnte es schwierig sein, den wertvollen Status eines sicheren Hafens beizubehalten.
Außergewöhnliche geldpolitische Maßnahmen haben zu einigen außergewöhnlichen Ergebnissen geführt – nicht zuletzt in der Eurozone und in Japan. Doch ein Worst-Case- Szenario birgt auch außergewöhnliche Risiken. In den letzten Jahren haben sich einige der kreativsten Köpfe der Wirtschaftsgeschichte in den Zentralbanken mit noch nie da gewesenen politischen Schritten befasst. Sie haben Geschichte geschrieben, aber ihre größte Leistung wäre die Rückkehr zu einfachen, nachhaltigen Konsumausgaben und unternehmerischen Investitionen.
Kolumne von Andrew Wilson, CEO für EMEA und Co-Head des Global Fixed Income und Liquidity Management Teams bei Goldman Sachs Asset Management