Giftcocktail für Deutschlands Autohersteller
05.09.2024
Marc Decker. Foto: Quintet Private Bank
Die deutschen Automobilhersteller bekommen die Folgen strategischer Fehlentscheidungen und wenig standortfreundlicher Förderpolitik zu spüren. Sie haben bislang kein Rezept gefunden, dem wachsenden Konkurrenzdruck aus Fernost Herr zu werden und zugleich dem Einbruch der heimischen Nachfrage zu trotzen. Zwar heißt es in einer alten Börsenweisheit, man solle „kaufen, wenn die Kanonen donnern“, aber wir bleiben skeptisch. Autoaktien haben den Boden wohl noch nicht erreicht.
Bereits der Ende 2023 umgesetzte Stopp der Förderung von Elektroautos – im Fachjargon auch BEV genannt – hat die Nachfrage in Deutschland stark gedämpft. Diese bittere Pille wird im Zusammenwirken mit anderen Einflussfaktoren zu einem regelrechten Giftcocktail. Dazu gehört in erster Linie der Absatzeinbruch, den deutsche Autohersteller in China erlitten haben. Margen- und Konkurrenzdruck, die geopolitische Großwetterlage sowie Energie- und Rohstoffkosten sind weitere Zutaten. Die heimische Autobranche läuft ernsthaft Gefahr aufgrund von immer schnelleren Entwicklungszyklen und – gerade besonders im Falle von VW – strukturellen Standortproblemen den Anschluss an die internationale Konkurrenz zu verlieren.
Die exogenen Faktoren dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die deutschen Autokonzerne ihre aktuelle Misere selbst mit verschuldet haben. Die Meldungen aus der VW-Konzernzentrale sind nur ein weiteres Kapitel einer Saga, in der es von strategisch kurzsichtigen Entscheidungen nur so wimmelt. Diese sind keineswegs nur auf VW begrenzt. Generell haben hohe Margen im Premiumsegment viele Unternehmensverantwortlichen in den Konzernzentralen der deutschen Automobilhersteller die Entwicklungen und Investitionen in Zukunftstechnologien verschlafen lassen. Der Blick war zu sehr auf kurzfristige Erträge gerichtet und zu wenig auf langfristige Ertragspotenziale. Im Falle von VW kommt noch das massive Kosten- und Auslastungsproblem wegen der auch politisch gewollten umfangreichen Produktionskapazitäten im eigenen Land hinzu. So sind die Personalkosten im internationalen Vergleich in Deutschland viel zu hoch und die Produktivität zu niedrig.
Auch können auf Elektroautos fokussierte Hersteller wie Tesla und BYD vermehrt ihre Skaleneffekte ausspielen und bringen ihre deutschen Konkurrenten in Bedrängnis. BMW, Mercedes, VW & Co. gehen diese Skaleneffekte eher verloren, da deren Produktionsbänder BEVs, Hybride und Verbrenner produzieren – eine einheitliche, kosteneffektive Plattform ist hier zwar umsetzbar, ist aber komplexer.
Ein strategisches Dilemma für die Autohersteller mit Verbrennergeschäft besteht darin, dass viele ihrer globalen Zielmärkte auf mittlere Sicht nicht oder nicht vollständig auf Elektromobilität umstellen werden, was weiterhin nicht-elektrische Antriebe notwendig macht. Hier ist Pragmatismus gefragt, jedoch müssen in den Konzernzentralen Strategien entwickelt werden, den Spagat zwischen Konzentration auf BEVs und ein hinreichendes Angebot an Verbrennungsmotoren bzw. Hybride in lokalen Märkten zu schaffen. Diesen Spagat zu bewältigen und in einer glaubwürdigen Transformationsstrategie abzubilden, ist eine Kernaufgabe. Folgerichtig lässt sich am Aktienmarkt beobachten, dass Firmen wie Volvo oder Renault, die glaubwürdige Strategien für ihre Transformation präsentiert haben, in diesem Jahr eine deutlich bessere Performance vorweisen können als ihre Konkurrenten.
Immerhin: Spät sind die deutschen Automobilkonzerne aufgewacht und haben entschlossen in Elektromobilität investiert. So konnte zuletzt BMW einen Achtungserfolg gegenüber Tesla feiern. Der Münchner Konzern überholte im Juli bei den Neuwagenverkäufen den US-amerikanischen Konkurrenten bei BEVs – und das trotz des allgemeinen Rückgangs bei der Nachfrage nach Elektrofahrzeugen. Spricht man mit Investoren am internationalen Kapitalmarkt, so wird BMW von vielen noch am ehesten die notwendige Innovationskraft und Anpassungsfähigkeit zugetraut. Es ist zu hoffen, dass auch andere Hersteller das Ruder herumreißen und wieder in die Offensive kommen.
Eine Lösung der strategischen Themen würde jedoch nichts daran ändern, dass der deutschen Automobilbranche mit dem Subventionsstopp für Elektroautos ein großer Bärendienst erwiesen wurde. Ganz aktuell scheint die Politik das wieder zu realisieren und startet mit der Förderung der Anschaffung von Elektroautos als Dienstwagen einen Versuch der Gegensteuerung. Gleiches gilt für den weiterhin eher schleppenden Ausbau der Ladeinfrastruktur. Hinzu kommen die im internationalen Vergleich horrenden Stromkosten in Deutschland sowie die ohnehin hohen Lohnkosten. Ob die Autoindustrie bei der Bewältigung dieser Herausforderungen auf die Politik zählen kann, scheint fraglich. Weder haben Entscheidungsträger in Berlin und Brüssel im Regulierungsprozess durch besondere Technologieoffenheit geglänzt noch ist ein klares Bekenntnis zur Stärkung der Infrastruktur für die ansonsten bevorzugte Antriebsart erkennbar.
Der Giftcocktail für die Autoindustrie ist ein unappetitlicher. Dass es nicht einmal gegen alle Zutaten ein Gegengift gibt, wissen die Hersteller heute schon. Es wäre aber immerhin ein Anfang, entschlossen genug an der Erforschung des Gegenmittels zu arbeiten.
Ein Engagement in deutsche Autoaktien drängt sich aufgrund der Gemengelage gegenwärtig jedenfalls nicht auf.
Marktkommentar von Marc Decker, Co-Leiter Aktien bei der Quintet Private Bank.