Gesundung oder Zwischenerholung?

15.01.2018

Axel D. Angermann, Chefvolkswirt von FERI / Foto: © FERI

Der synchrone und kräftige Aufschwung der Weltwirtschaft wird von vielen Marktteilnehmern derzeit so interpretiert: Nachdem die wirtschaftliche Entwicklung der meisten Länder jahrelang unter den Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise von 2008 gelitten hat, wurde diese Schwächephase dank der expansiven Geldpolitik im Jahr 2017 überwunden. Die Notenbanken können sich deshalb allmählich und vorsichtig zurückziehen und die Geldpolitik normalisieren. Folgt man dieser populären Interpretation, liegen vor uns noch einige goldene Jahre, bevor irgendwann in weiter Ferne möglicherweise Kapazitätsgrenzen erreicht werden und ein normaler konjunktureller Abschwung einsetzt. Die aktuell weiterhin sehr positiven Konjunkturdaten scheinen diese Sichtweise zu stützen, denn es gibt tatsächlich keinen Anlass, kurzfristig eine wirtschaftliche Eintrübung anzunehmen.

Doch bei aller Sehnsucht nach besseren Zeiten wird etwas Wesentliches verdrängt: Eine der Hauptursachen der Misere, die im Jahr 2008 ihren Ausgang nahm, waren die von zu hoher Verschuldung ausgelösten Ungleichgewichte. Zehn Jahre später ist der Schuldenstand in den Industrieländern keineswegs gesunken. Er stieg sogar im Gegenteil noch einmal von 240 Prozent des BIP auf knapp 275 Prozent an, wobei dieser Anstieg fast vollständig auf das Konto der Staaten ging, während die private Verschuldung mit etwa 165 Prozent des BIP konstant hoch blieb. In den Schwellenländern stieg der Schuldenstand von 107 auf fast 190 Prozent des BIP, und hier entfiel der weitaus größte Teil davon auf den privatwirtschaftlichen Bereich, vor allem auf Unternehmen. Die expansive Geldpolitik der Notenbanken hat zwar vorerst das Bankensystem stabilisiert und wesentlich zur makroökonomischen Erholung beigetragen. Die Ursachen der Krise beseitigt haben die Notenbanker damit aber nicht (was man ihnen auch nicht vorwerfen kann).

Schuldenblase als Menetekel

Zwei Folgen hat dieser Befund: Erstens steht die Frage im Raum, wie tragfähig die weiterhin hohen Schulden im Falle einer Normalisierung der Geldpolitik mit steigenden Zinsen tatsächlich sind. Ein Teil der in den vergangenen zehn Jahren und auch aktuell noch getätigten Investitionen wird sich als Fehlallokation herausstellen, die nur in einem Umfeld extrem niedriger Zinsen Bestand haben kann. Je nachdem wie groß der Anteil solcher Fehlallokationen ist, droht Gefahr für die gesamtwirtschaftliche Stabilität. Es spricht vieles dafür, dass ein ernsthafter Tragfähigkeitstest noch nicht in diesem Jahr ansteht, weil das Zinsniveau zunächst noch sehr niedrig ist. Es gibt aber keinen Grund zu der Annahme, er läge noch viele Jahre in der Zukunft.

Zweitens verdichten sich in China die Anzeichen für eine potenziell stabilitätsgefährdende Wirkung der extrem hohen und in den vergangenen Jahren erheblich gestiegenen Verschuldung. Vor allem der Umfang des Schattenbankensystems, die Preisentwicklung auf den Immobilienmärkten und die Tatsache, dass mit Krediten nicht nachhaltige Wirtschaftsstrukturen am Leben erhalten werden, stehen dabei im Fokus. Die chinesische Führung hat die hiervon ausgehenden Gefahren erkannt und versucht seit einiger Zeit gegenzusteuern. Auch hier gilt: Es spricht manches dafür, dass die Regierung zunächst das Heft des Handelns in der Hand behält und einen größeren Einbruch der wirtschaftlichen Dynamik verhindern kann. Es gibt aber wenig Grund zur Hoffnung, dass gerade China als erstem Land in der Weltgeschichte eine geordnete Rückführung einer Schuldenblase gelingen sollte.

Der laufende Aufschwung in der Weltwirtschaft erscheint so gesehen als eine Zwischenerholung. Es ist durchaus denkbar, dass dieser Aufschwung das Jahr 2018 prägt, und es gibt keinen Grund, hier und heute einen neuen Abschwung herbeizureden. Es ist aber gleichzeitig auch sehr wahrscheinlich, dass diese Zwischenerholung nicht erst in ein paar Jahren endet. Verantwortungsvoll handelnde Akteure sollten sich deshalb mittelfristig darauf einstellen.

Marktkommentar von Axel D. Angermannm, Chef-Volkswirt der FERI Gruppe