Generation S: Das Zeitalter der Systemfehler

21.11.2016

André Kunze, Geschäftsführender Gesellschafter der Prometheus Vermögensmanagement GmbH/ Foto: © Prometheus

Irgendwie lässt mich das Gefühl nicht los, dass unser wirtschaftliches Umfeld und die Kapitalmärkte nur noch aus einer Aneinanderreihung von Systemfehlern bestehen. Eigentlich bin ich mir sogar sicher, dass dem so ist. Es stört nur niemanden, denn wir grinsen abwesend vor uns hin.

Da schafft die Europäische Zentralbank die Zinsen ab und raubt der verzinsten Kapitalanlage jegliche Logik. Uns stört das nicht, denn wir machen weiter wie bisher und tragen unser Geld zur Bank. Die wiederum zahlt keine Zinsen mehr, steht dafür aber aufgrund des von der Notenbank erfundenen Systemfehlers mit dem Rücken zur Wand und stochert mit einem Fuß verlegen im Abgrund herum. Und wir grinsen.

Die Bank ihrerseits lässt es sich nicht nehmen, bei jeder denkbaren und undenkbaren Manipulation vorne dabei zu sein, um am Ende Strafe um Strafe im Trophäenschrank zu sammeln. Gleichzeitig manipulieren Autobauer ohne jegliche moralische Bedenken Abgaswerte und Spritverbräuche, während Facebook über das Wochenende zwei Millionen Nutzer das Zeitliche segnen lässt und für jeden dieser Nutzer – die sich in Wahrheit bester Gesundheit erfreuen – eine Kondolenzanzeige veröffentlicht. Laut Facebook ein Systemfehler. Nee, is klar! Und wir grinsen.

Gut, dass wenigstens die Politik keinem Systemfehler aufsitzt und weiß, wie es geht. Zum Beispiel, wie man die Wirtschaft wachsen lässt, obwohl die Bevölkerung in allen Industrieländern schrumpft und überaltert. Obwohl wir Schulden abbauen müssen und wissen, dass wir in den letzten 25 Jahren ohne Verschuldung kein Wachstum gehabt hätten. Und obwohl uns trotz aller Bemühungen keine Weihnachtswünsche mehr einfallen, da wir ja eigentlich schon alles haben. Wir wachsen trotzdem! Oder sind Ihnen das am Ende doch zu viele „obwohl‘s“? Egal. Wir glauben‘s und grinsen.

Wenn wir dann selbst unsere politische Stimme erheben, stimmen wir als Engländer für den Ausstieg aus der EU – um die aktuelle Regierung zu ärgern, aber ohne es eigentlich zu wollen. Auch als Amerikaner geht es uns darum, mit unserer Stimme jemanden zu ärgern – und zwar das Establishment. Dafür wählen wir dann jemanden, der weiß, was Frauen wollen und wie man andere beschimpft, verprügelt und diskriminiert. Das Grinsen vergeht uns trotzdem nicht, schließlich steigen die Aktien nach einem frühmorgendlich unterdrückten Schluckauf ja wieder.

Warum auch nicht? Denn auch wir Deutschen stimmen ja mittlerweile eher gegen jemanden als für jemanden. Im Gegensatz dazu können wir als Türken richtig stolz auf uns sein. Denn zu unserem Präsidenten stehen wir – mit wehenden Fahnen und aus voller Überzeugung. Wozu brauchen wir da noch Meinungsfreiheit? Hauptsache wir grinsen.

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