Frankreich muss politische Dividende erhalten
20.04.2017
Senior Economist, Macro & Strategy bei NN Investment Partners / Foto: © NNIP
Das Fazit lautet, dass das Weiterbestehen der politischen Dividende bei den Risikoprämien französischer Staatsanleihen – wie vermutet – von den politischen Entwicklungen abhängt. Auf kurze Sicht lautet die Frage, ob Marine Le Pen Präsidentin werden kann. Auf längere Sicht wird die politische Dividende jedoch entscheidend von einer Wirtschaftsreform-Dividende abhängen. Aus dem Programm von Emmanuel Macron geht hervor, dass er das skandinavische Modell nach Frankreich importieren möchte. Im Wesentlichen besteht dieses Modell aus einer Kombination von Strukturreformen, die die Wirtschaft flexibler machen, sowie der Bereitstellung von staatlicher Unterstützung bzw. Anreizen zur Steigerung der Investitionen und des Humankapitals. Letzteres impliziert, dass Macron eine bedeutendere Rolle des Staats im Sinne hat als François Fillon. Das muss nicht unbedingt schlecht sein, solange die staatlichen Interventionen die Märkte ergänzen. Ein Teil des Aufwands würde in die Erhaltung eines größeren sozialen Sicherheitsnetzes fließen, was sicherlich das Potenzial wirtschaftlicher Rückschläge und negativer politischer Gegenreaktionen auf die Reformen verringern würde. Dies wäre vor allem dann der Fall, wenn sich die Maßnahmen für die soziale Sicherheit auf Programme richten würden, die Erwerbslose aktiv zu neuen Arbeitsplätzen hinführen. Macron würde vermutlich eine weniger rigorose Auslegung des Fiskalpakts begrüßen, z.B. durch die Ausklammerung von Investitionen des öffentlichen Sektors aus den Defizitberechnungen.
Im Gegensatz zu Macron und Fillon würde die politische Dividende unter Le Pen drastisch sinken und sich aufgrund einer negativen wirtschaftlichen Dividende im Laufe der Zeit weiter verschlechtern. Die Hauptthemen ihres Programms haben große Ähnlichkeit mit denen von Donald Trump, das heißt, eine drastische Reduzierung der Einwanderung und eine größere Souveränität Frankreichs. Le Pen will ein Referendum, lässt aber offen, ob dies ein Referendum zur EU-Mitgliedschaft oder zum Euro wäre. Sie möchte den Franc parallel zum Euro einführen. Das Ziel besteht darin, der „unfairen Konkurrenz“ zu begegnen, was nichts anderes heißt, als dass sie eine abgewertete Währung anstrebt, um die Wettbewerbsfähigkeit zu verbessern. Wenn dieser Plan umgesetzt würde, dürfte er negative Folgen haben. Denn zur gleichen Zeit möchte sie die Unabhängigkeit der Banque de France aufheben und die Zentralbank anweisen, den Staat direkt zu finanzieren. Das Ergebnis wäre ein Anstieg der französischen Inflation (bzw. der Inflationserwartungen), welcher jegliche, zunächst erreichte, Verbesserung der Wettbewerbsfähigkeit zunichtemachen würde. Mehr noch: All dies würde die Schuldenlast Frankreichs unnachhaltig machen, denn das Finanzministerium würde Steuereinnahmen im neuen abgewerteten Franc erhalten, während die Schulden weiter auf Euro lauten würden. Alternativ wäre es möglich, dass sie Zahlungsverpflichtungen für die Schulden nicht erfüllt. In diesem Fall kämen auf Frankreich sehr hohe Kreditkosten für den Anstieg des Haushaltsdefizits zu, der durch die unvermeidliche Rezession und ihr Programm der fiskalischen Expansion verursacht würde. Dieses wirtschaftliche Chaos würde natürlich durch den Abzug von Einlagen und eine Kapitalflucht aus Frankreich verstärkt, die das Bankensystem lahmlegen würden.
Ich erwarte, dass Le Pen auf viele, wahrscheinlich unüberwindliche Hürden stoßen würde, bevor sie ein Referendum ansetzen könnte. Das bedeutet jedoch nicht, dass eine Präsidentschaft von Le Pen für die französische Wirtschaft und französische Vermögenswerte günstig wäre. Im Inland würde die Reformdynamik aufgrund der „Kohabitation“ (ein Präsident mit einer Parlamentsmehrheit opponierender Parteien) völlig ins Stocken geraten. Dadurch würde die wirtschaftliche Dividende Frankreichs schnell dahinschmelzen. Darüber hinaus hat der französische Präsident große außenpolitische Macht, und es ist sehr unwahrscheinlich, dass Le Pen gut mit der nächsten Bundeskanzlerin oder dem nächsten Bundeskanzler Deutschlands zusammenarbeiten würde. Infolgedessen würde die politische Dividende, die französische Vermögenswerte und französische Banken bisher unterstützte, ebenfalls drastisch schrumpfen. Nicht zuletzt würden der Region dringend benötigte weitere Fortschritte bei der Fiskal- und Bankenunion vorenthalten werden, was letztlich negativ für ihre Stabilität wäre.
Kolumne von Willem Verhagen, Senior Economist, Macro & Strategy bei NN Investment Partners