Flucht in sichere Häfen

25.02.2020

Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege bei BlackRock / Foto: © BlackRock

Angesichts des Ausbreitens des Coronavirus tritt die makroökonomische Situationsbeschreibung bei der Analyse der Finanzmärkte gegenwärtig in den Hintergrund. Zu massiv erscheinen die Folgen der Epidemie. Decken sich Verbraucher in Italien und anderswo nun mit Hamsterkäufen ein, so agieren auch die Anleger mit Panik. Sie favorisieren sicher geglaubte Häfen wie Gold. Die Zinsen auf langlaufende US-Staatsanleihen fallen in den Keller. Eine Analyse aus dem Hause BlackRock von Felix Herrmann, Kapitalmarktstratege.

Von der Epidemie zur Pandemie

Zuerst die gute Nachricht: Seit vergangenem Mittwoch ist die täglich gemeldete Zahl derer, die weltweit vom Corona-Virus genesen sind, höher gewesen als die der Neuinfizierten. Somit ging die weltweite Zahl der Infizierten – zumindest offiziell – zurück. Die schlechte Nachricht: Besonders glaubwürdig sind die Daten angesichts mehrfacher Änderungen der Zählweise bei der Erfassung der Corona-Fälle in China nicht. Damit aber noch nicht genug der besorgniserregenden Meldungen, denn während Maßnahmen zur Eindämmung des Virus in der chinesischen Provinz Hubei erste Früchte zu tragen scheinen, nehmen die Sorgen vor einer unkontrollierten Ausbreitung in anderen Regionen und Ländern zu. So zu beobachten etwa in Südkorea, wo die Regierung bestimmte Regionen zu speziellen Kontrollzonen erklärt hat, nachdem sich bereits mehr als 700 Menschen mit dem Virus infiziert haben. Äußerst beunruhigend sind auch die Meldungen aus der Lombardei und Venetien, wo die Zahl der Infizierten stark gestiegen ist. Was die Sorgen vor einer weltweiten Pandemie schürt, ist die zunehmende Zahl an Fällen, bei denen Experten den Ansteckungsverlauf nicht mehr zurückverfolgen können.

Die negativen wirtschaftlichen Auswirkungen von COVID-19 sind aktuell noch überhaupt nicht abzuschätzen. Seriöse Prognosen sind frühestens möglich, sobald eine nachhaltige Eindämmung des Virus überall auf der Welt gelungen ist. Wie stark das Virus bereits jetzt die Laune in der Wirtschaft trübt, mussten wir letzte Woche erfahren, als Stimmungsindikatoren veröffentlicht wurden, die nach dem Ausbruch des Virus erhoben wurden. In Japan etwa droht aufgrund des Virus ein Abdriften in die Rezession, nachdem die Stimmung in der Industrie dort so schlecht ist, wie seit sieben Jahren nicht mehr. Aber auch außerhalb Asiens sind die ökonomischen Auswirkungen zu spüren. Etwa bei deutschen Autobauern: VW, Daimler und BMW verkaufen etwa jedes dritte Auto in China. Kein Wunder, dass die Sorgenfalten bei den Autobauern aktuell tief sind. Das größte Unbehagen unter den weltweiten Anlegern dürfte jedoch der enorme Rücksetzer des Einkaufsmanagerindex für den Dienstleistungssektor in den USA bereitet haben. Erstmals seitdem der Index existiert, fiel der Wert letzte Woche unter die wichtige Marke von 50 Punkten, welche die Schwelle zwischen Expansion und Kontraktion markiert. Sollte eine der wichtigsten Stützen der Weltwirtschaft überhaupt – nämlich der US-Konsument – durch das Coronavirus brüchig werden, müssen die Prognosen für das Jahr 2020 ernsthaft überdacht werden.

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