EZB und Politik wollen Aufschwung um jeden Preis

09.06.2020

Gottfried Urban, Urban & Kollegen Vermögensmanagement, Altötting / Foto: © Urban & Kollegen Vermögensmanagement

Erfahrene Börsianer tippten in der Coronakrise auf typische Kurs-Muster. Dazu gehört, dass auf eine Zwischenerholung an den Aktienmärkten ein neues Tief folgt. Genau so haben sich die meisten Marktteilnehmer verhalten. Verkaufen und Geld sicherheitshalber parken. Doch der zweite Einbruch bleibt bisher aus.

Zwischen den Fragen "Wie weit können die Kurse noch fallen?" und "Wie weit können die Kurse noch steigen?" liegen keine drei Monate. Was ist passiert: Regierungen und Notenbanken sind sich alle einig. Der „egal was passiert, wir gleichen es mit Geld aus“-Modus soll die Einkommensverluste der Konsumenten und Unternehmer decken. Es hilft augenscheinlich, denn nun werden wieder die Langfristperspektiven der Aktienmärkte gesehen. Die Kurse stehen fast wieder auf Vorkrisenniveau. Jetzt müssen die Konsumenten und Unternehmen liefern, daher gibt’s die Konjunkturprogramme.

Bloß nicht enttäuschen

Die Notenbanken und die Politik haben sich entschieden: Nicht die Geldwertstabilität ist jetzt wichtig, sondern die Stabilisierung des Finanzsystems durch das Drucken von Geld. Motto: Viel hilft viel. Marktteilnehmer hatten erwartet, dass die EZB ihr Anleihenkauf-Programm auf 500 Mrd. Euro ausweitet. Tatsächlich legte die Notenbank noch weitere 100 Mrd. Euro drauf. Von der Regierung war ein Konjunkturpaket im Volumen von 100 Mrd. Euro erwartet worden; die Politik beschloss Maßnahmen im Umfang  von 130 Mrd. Euro. Es scheint so, dass man jede Enttäuschung an den Märkten vermeiden will.

Wie könnte es weitergehen? Die Politik der Geldmengenausweitung schafft Gewinner und Verlierer: Wer nach der Finanzkrise 2008/2009 Aktien, Anleihen, Häuser und Grundstücke besaß, wurde reicher, wer Geld auf Konten oder in bar hielt, wurde relativ ärmer. Der diesjährige Wirtschaftseinbruch in Folge der Pandemie wird mit neu geschaffenem Notenbankgeld bezahlt. Die Geldmengen werden ausgeweitet bei gleichzeitig rückläufiger Güterproduktion. Ein unvermeidbarer Nebeneffekt: Ein großer Teil des Geldes erreicht nicht die Realwirtschaft und wird in Finanzinvestments fließen, die keinen produktiven Gegenwert erzeugen. Die Ausweitung der Geldmenge müsste somit längerfristig zu einer Vermögens- und Verbraucherpreisinflation führen.

Die Verlierer sind die Geld- und Zinssparer bzw. der Konsument, der mit dem Kauf von Gütern und Dienstleistungen dem Unternehmer hilft. Er erleidet sofort einen Vermögensverlust, da er die Marge für Handel und Produkthersteller finanziert. Das ist grundsätzlich alternativlos und sichert zumindest einen Teil der Arbeitsplätze.

US-Investoren schauen auf Europa

Der Aufwärtsdruck für die Finanzmärkte könnte weitaus größer werden als nach der Krise 2008/2009. Anleihen werden jetzt nicht zur Vermögensmehrung führen. Erstmals in der Geschichte wird auch für länger laufende US-Staatsanleihen kein Zins mehr bezahlt. Da kommt zusätzlich Kaufdruck in den europäischen Aktienmarkt. Die verwöhnten US-amerikanischen Investoren sind vor dem Hintergrund der EZB-Politik und der Konjunkturprogramme bereit, auch wieder in Europa Unternehmensanteile zu kaufen. Ich gehe davon aus, dass das keine Eintagsfliege ist. Rückschläge muss man aber immer einkalkulieren.

Ab Mitte/Ende diesen Jahrzehnts könnte eine große Preisblase am Aktienmarkt stehen. Darunter verstehe ich eine Bewertung, die beim Doppelten des langjährigen Durchschnitts liegt. Bei den Immobilienpreisen haben wir schon ein Niveau erreicht, das etwa 50 bis 70 Prozent über dem zum Langfristbewertungsschnitt liegt. Somit dürften Aktien noch das größere Potenzial haben. Es besteht für dieses Szenario meiner Meinung nach eine hohe Eintrittswahrscheinlichkeit.

Kolumne von Gottfried Urban, Urban & Kollegen Vermögensmanagement, Altötting

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