Europäische Anleihen – Spreads gehen weiter auseinander
15.06.2020
Lior Jassur, DBA, Director, Fixed Income Research Europe MFS Investment Management / Foto: © MFS Investment Management
Trotz der sehr expansiven Geld- und Fiskalpolitik ist der Ausblick für viele Unternehmen keineswegs spektakulär. Zweifellos wird es mehr Zahlungsausfälle geben. Im Euroraum haben sich die Renditen zwischen Nord- und Südeuropa auseinanderentwickelt, ebenso wie die Spreads zwischen High Yield und Investmentgrade-Unternehmensanleihen sowie zwischen High Yield und nachrangigen Finanzanleihen. Eine aktive Einzelwertauswahl kann sich lohnen.
Ich bin weder besonders musikalisch noch ein großer Literaturkenner, aber ich finde es beeindruckend, wie gut Irving Berlins Songtext aus dem Jahr 1936 in die heutige Zeit passt.
There may be trouble ahead
But while there’s music and moonlight and love and romance Let’s face the music and dance Before the fiddlers have fled Before they ask us to pay the bill and while we still have the chance Let’s face the music and dance.
Sind Music, Moonlight, Love and Romance also noch nicht vorbei? An den Anleihemärkten ist die Lockerung der Geldpolitik die Musik, und die Staatsausgaben sind der Mondschein. Liebe und Romantik wären der – wesentlich schwerer in Zahlen zu fassende – Ausblick für die Unternehmen. Von alldem hängt ab, ob die Zeiten für risikobehaftete Wertpapiere gut oder schlecht sind.
Anfang April rechnete ich eher mit einem „Swoosh“ – einer längeren Schwächephase gefolgt von einer leichten Erholung – und nicht mit dem bei vielen Marktbeobachtern so beliebten V. Seitdem hat die Hoffnung auf eine V-förmige Erholung nachgelassen, und immer öfter ist von einem L die Rede. Das ist allerdings immer noch besser als der Swoosh, bei dem die Wirtschaft erst längere Zeit schrumpft, bevor sie sich dann steil erholt.
Die Notenbanken können die Geldpolitik sehr viel stärker lockern, und die Regierungen können noch sehr viel mehr Geld ausgeben. Dennoch scheint der Ausblick für viele Unternehmen immer schlechter zu werden. In Europa und in den USA ist die Arbeitslosigkeit sehr schnell stark gestiegen. In vielen Branchen gibt es erste Hinweise auf einen langfristigen Kapazitätsabbau und entsprechende Stellenstreichungen. Alles in allem haben größere Unternehmen bessere Chancen, die Krise zu überstehen, als kleinere. Gut vorbereitet ist auch, wer nur wenig verschuldet ist.
Einiges davon ist in den Anleihekursen bereits berücksichtigt. Trotz Lockerung der EZB-Geldpolitik und diverser Staatshilfen für Unternehmen und Haushalte haben sich die Renditen der nord- und südeuropäischen Euroraum-Länder weiter auseinanderentwickelt. Auch die Spreads sind gestiegen – zwischen High Yield und Investmentgrade-Anleihen ebenso wie zwischen High Yield und nachrangigen Finanzanleihen. Dieser Zinsabstand ist besonders interessant, bestätigt er doch zwei wichtige Merkmale der aktuellen Krise:
• Diesmal sind nicht die Banken das Problem. • Hohe Verschuldung und schrumpfende Nachfrage sind eine gefährliche Mischung.
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