Emerging-Markets-Corporates: „No free lunch, but a good lunch“

11.10.2024

Thomas Fischli Rutz. Foto: Fisch Asset Management

Schwellenländer reifen immer mehr zu emanzipierten Staaten. Waren sie in früheren Jahren fast „Spielbälle“ in Verhandlungen mit großen westlichen Industrienationen, begegnen sie diesen heute vielfach auf Augenhöhe. Zahlreiche Schwellenländer, wie dieses heterogene Gebilde unverändert genannt wird, haben aufgrund zunehmender Wirtschaftsstärke die Wahl, welche Abkommen oder Investitionen sie zu welchen Bedingungen abschließen oder akzeptieren. Dabei entstehen wichtige Mittelmächte und sogenannte „Connector Countries“.

Letztere agieren als Bindeglieder in der Neuordnung der globalen Lieferketten. Beispielsweise sind Länder wie Mexiko, Marokko oder Vietnam Gewinner dieser Entwicklungen, denn sie haben erreicht, sowohl von China als auch der alten Welt höhere Direktinvestitionen (FDI, Foreign Direct Investment) zu erhalten.

Auch Länder wie Indien, Saudi-Arabien, Brasilien oder Indonesien etablieren sich als Mittelmächte, indem sie sich auf ihre eigenen wirtschaftlichen Vorteile konzentrieren und es ablehnen, sich politisch mit einer Weltmacht zu identifizieren. Ein signifikantes Beispiel ist Indien. Das mittlerweile bevölkerungsreichste Land der Erde kauft russische Rohstoffe und wird dennoch weiterhin vom Westen als demokratischer Partner angesehen. Und Saudi-Arabien beispielsweise folgt bei der Ölfördermenge nicht mehr den Wünschen der USA, beide Parteien möchten aber einen Sicherheitspakt schließen. Generell sind diese neuen Mittelmächte Profiteure der geopolitischen Realität.

Für Investoren besitzen die Emerging Markets (EM) damit einen höheren Stellenwert als in der Vergangenheit. Sie werden auch immer mehr zur interessanten Alternative für globale Anleger, um ein Konzentrationsrisiko in den USA oder in Europa zu vermeiden. Diverse professionelle Investoren erhöhen seit geraumer Zeit ihre Anlagen in den Schwellenländern. Dennoch zeigen insgesamt die Nettozuflüsse in Unternehmensanleihen aus Schwellenländern in diesem Jahr noch eine negative Tendenz. Trotzdem haben sich Kreditaufschläge zeitweise auf historische Tiefs verengt und die Performance von EM-Corporates in Hartwährungen ist 2023 und in diesem Jahr bis dato jeweils knapp zweistellig und damit ausgesprochen positiv. Entsprechend dürften die Zuflüsse langsam in Fahrt kommen.

Die Entwicklung der EM zur reifen Anlageklasse wird durch weitere Fakten unterstrichen. So überholen Schwellenländer (ohne China) im kommenden Jahr erstmals die fortgeschrittenen Volkswirtschaften hinsichtlich kaufkraftbereinigter Wirtschaftsleistung. Die dort ansässigen Unternehmen verfügen über breit diversifizierte Finanzierungsmöglichkeiten. Über die letzten Jahre sind in vielen Schwellenländern lokale Bankkredite oder Anleihen in Lokalwährung genauso verfügbar wie USD-Anleihen – so dass Unternehmen wählen können, welche Variante für sie günstiger ist und dadurch in robuster Verfassung sind. Und China ist auf Staats- und teilweise auch auf Unternehmensebene mit dem Westen im Wettbewerb und gewinnt durch wirtschaftliche Realpolitik (Kredite oder Entwicklungshilfe) an Einfluss.

Nach einer Konsolidierungsphase von 2021 bis 2023 mit einem schrumpfenden Anlageuniversum sehen wir bei den EM-Corporates aktuell Rückenwind. Starke Fundamentaldaten, bessere Fiskaldaten als der Westen, verbesserte Kreditqualität, ein früher begonnener Zinssenkungs-Zyklus und niedrige Ausfallraten sind nur einige Argumente, die Anlass zu einer positiven Einschätzung bieten. Dazu kommt eine Fed-Politik, die unterstützend wirkt. Ohne Risiken wie etwa einen stärkeren US-Dollar oder geopolitische Spannungen zu vernachlässigen, sind EM-Unternehmensanleihen eine interessante Anlageklasse, die mehr Investoren-Aufmerksamkeit verdient. Und nach wie vor gilt, dass Schwellenländer-Anleihen mehr Rendite für weniger Unternehmensrisiko bieten. So lautet unsere momentane Bewertung des EM-Corporates-Markts: No free lunch, but a good lunch.

Marktkommentar von Thomas Fischli Rutz, Head Emerging Markets bei Fisch Asset Management in Zürich.