Einheitliches Enforcement-Verfahren als notwendige Konsequenz des Wirecard-Skandals? – Ein Trugschluss

21.02.2022

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V. Das falsche Kompetenzverständnis der BaFin

Im Fall Wirecard schiebt die BaFin ein falsches Kompetenzverständnis vor, das mit dem ursprünglich zweistufigen Enforcement-Verfahren in Zusammenhang steht. Im Vorfeld gab es von Short-Sellern und Journalisten fundierte Verdachtsmomente einer Marktmanipulation von Wirecard durch Bilanzmanipulation. Die BaFin ergriff dennoch keine konkreten Maßnahmen. Der Erklärungsansatz der BaFin lautet wie folgt: Short-Seller und Journalisten hätten Wirecard Marktmanipulation durch falsche Bilanzierung vorgeworfen. Hier sei die Bilanzkontrolle nach §§ 106 ff. WpHG einschlägig und damit zuvorderst die DPR zuständig gewesen. Damit kann sie nicht durchdringen. Der BaFin war es rechtlich sehr wohl möglich, den Vorwürfen gegen Wirecard neben der DPR nachzugehen und auch mit den Kompetenzen aus § 6 WpHG selbst zu ermitteln. Zwar ist es richtig, dass auf Bilanzmanipulationen die Vorschriften der §§ 106 ff. WpHG Anwendung finden und primär die DPR befasst war. Dies geht auf den allgemeinen Rechtsgrundsatz der „lex specialis“ zurück (der interessierte Leser findet hierzu im Internet zahlreiche Erklärungen). Das bedeutet aber mitnichten, dass der BaFin eigene Ermittlungen nach § 6 WpHG gesperrt gewesen wären und sie nicht auch ermitteln durfte und musste. Der Gesetzgeber wollte mit den §§ 106 ff. WpHG durch das BilKoG (s. III.) das durch Bilanzskandale wie „Enron“ verlorene Vertrauen der Anleger in den deutschen Kapitalmarkt zurückgewinnen. Warum sollten dann durch dieses Gesetz der BaFin Aufgaben weggenommen (davor traf auch sie die Bilanzkontrolle) und zuvorderst auf einen e. V. (DPR) mit nur geringen personellen und sachlichen Mitteln und ohne jegliche Möglichkeit zur Ergreifung von staatlichen Zwangsmaßnahmen übertragen werden, der deshalb auf die freiwillige(!) Mithilfe der Unternehmen angewiesen ist. Sollte die Konsequenz wirklich sein, dass die für Bilanzmanipulationen verantwortlichen Unternehmen sich zukünftig selber ans Messer liefern müssen? Und sollte mehr noch der Anleger durch einen solchen Rückschritt wieder Vertrauen in den deutschen Kapitalmarkt setzen? Dem ist natürlich nicht so. Die §§ 106 ff. WpHG können nur so zu verstehen sein, dass hierdurch ein zusätzliches Bilanzkontroll-Verfahren geschaffen werden sollte, das neben die bisherige Bilanzkontrolle der BaFin treten, diese aber nicht einschränken sollte. Danach war es der BaFin unbenommen, im Rahmen ihrer Marktmissbrauchsuntersuchungen auch die Bilanzen von Wirecard zu kontrollieren. Dass sie dies nicht getan hat, ist ihr Versäumnis und keines des Gesetzgeber

Fazit

Mit dem geänderten Enforcement-Verfahren versucht der Gesetzgeber, der BaFin zu ermöglichen ihr Gesicht zu wahren, indem die zweistufige Zuständigkeit als Ursache für das Unterbleiben aufsichtsrechtlicher Maßnahmen im Fall Wirecard dargestellt wird. Das ist vor dem Hintergrund des Gesetzesziels, Anlegervertrauen wiederzugewinnen, verständlich. Wenn der Gesetzgeber eingestehen würde, dass Deutschlands höchste Finanzaufsichtsbehörde im Fall Wirecard versagt hat, würde dies das Anlegervertrauen wohl kaum stärken. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass es gerade dieser Gesetzesänderung zur Verhinderung des Skandals Wirecard nicht bedurft hätte. Auch nach bisherigem Recht verfügte die BaFin über alle erforderlichen Zuständigkeiten und aufsichtsrechtlichen Instrumente, um das Anlegerfiasko Wirecard zu verhindern.

Marcel SechtinRechtsanwalt TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH