„Ein Kompletttausch der IT-Landschaft erhöht das Tempo nicht“

03.12.2020

Walter Capellmann, Hauptbevollmächtigter der DELA Lebensversicherungen in Deutschland (li.) und Oliver Huber, Senior Salesmanager der Combined Computer Services C.C.S. B.V. (re.) / Fotos: © DELA / C.C.S.

finanzwelt: Herr Capellmann, als Hauptbevollmächtigter der DELA Lebensversicherungen in Deutschland kennen Sie auch den niederländischen Markt Ihrer Muttergesellschaft. Wie agiert man dort?

Capellmann: Viele niederländische Gesellschaften orientieren sich am englischen Markt und legen ihren Fokus auf Innovation. Dabei geht der Blick über Produktinnovationen hinaus und richtet sich auf die Entwicklung des Versicherungsgeschäftes insgesamt. Organisatorisch gehen sie einen Schritt weiter als viele etablierte Versicherer in Deutschland. Die Innovation ist ein fester Teil der täglichen Arbeit und das wichtige ‚Time-to-Market‘ bei der Einführung neuer Produkte gelingt häufig besser. Dass Deutschland in seiner digitalen Entwicklung noch zurückliegt, weckt bei Anbietern aus den Niederlanden, Großbritannien und den Vereinigten Staaten große Erwartungen. Das digitale Wachstum schreitet unaufhörlich voran – und es wird sicherlich spannend sein zu sehen, ob und wie deutsche Wettbewerber hier aufholen können.

finanzwelt: Warum verläuft die digitale Transformation so schleppend?

Huber: Zum einen ist die traditionelle Methode der Produktentwicklung und des Produktverkaufs nach wie vor sehr profitabel. Ein anderer Grund liegt viel tiefer in der Struktur der Gesellschaften, deren bestehende Kernsysteme hoch komplex sind und nicht für eine digitale Transformation entworfen wurden. Manche verwenden auch mehrere Kernsysteme und ihre Daten sind nicht zentral, sondern in unterschiedlichen Abteilungen gespeichert. Alles zusammen erscheint dann als eine sehr große Herausforderung, vor allem wenn man dem Irrtum unterliegt, man müsse bestehende Kernsysteme auf einen Schlag ersetzen.

finanzwelt: Gibt es denn eine Alternative zum sofortigen und vollständigen Austausch veralteter IT?

Huber: Die Versicherungswelt ist komplex und ihre IT-Landschaften sind bekanntlich unübersichtlich. Die sogenannte ‚Rip-and-Replace“-Lösung, den Komplettaustausch, halten wir daher nicht für die beste Lösung. Die aktuelle Komplexität lässt sich nicht einfach durch ein neues System ersetzen. Bei unseren internationalen Kundenprojekten haben wir gute Erfahrungen damit gemacht, die Daten aus internen und externen Systemen auf einer externen Plattform zu harmonisieren und zu bündeln. Auf diese Weise können die Versicherungsgesellschaften ihre alten Systeme nach und nach auslaufen lassen oder modernisieren. Sie verlieren dadurch keine Zeit und partizipieren schon während des Umstellungsprozesses am digitalen Versicherungsmarkt. Hinzu kommt, dass die Kosten und Risiken dieser Variante deutlich geringer sind als bei einem vollständigen Austausch der Systeme.

finanzwelt: Wie müssen wir uns einen solchen Prozess in der Praxis vorstellen?

Huber: Unsere digitale Integrationsplattform ermöglicht es den Versicherungsgesellschaften, ihre bestehenden Kernsysteme weiterzuverwenden und auf ihre Daten zentral zuzugreifen. Auf Basis der bestehenden Kernsysteme wird sozusagen eine einzige Version der ‚Wahrheit‘ erzeugt. Diese Plattform deckt den gesamten Lebenszyklus der Versicherungspolicen ab – vom digitalen Kundenkontakt über die Optimierung der Kernaktivitäten bis zur Unterstützung von Predictive Analytics. Mithilfe eines Produkt-Konfigurators und einer dynamischen Benutzeroberfläche lassen sich interne und externe Datenquellen und Dienstleistungen koordinieren. Was auf der einen Seite der Qualitätsoptimierung dient ist auf der anderen Seite der Schlüssel zu echter Innovation.

finanzwelt: Was wird aus Ihrer Sicht der nächste große Schritt im digitalen Versicherungsgeschäft?

Huber: Die Konsolidierung und Integration bestehender IT-Landschaften in eine digitale Integrationsplattform beschleunigt die Innovation auf der gesamten Wertschöpfungskette. Interne Prozesse werden so weit wie möglich automatisiert, wodurch die Versicherer einen enormen operativen Vorteil erlangen. Sie sind in der Lage ihre vorhandenen Kundendaten besser zu nutzen, indem sie in Echtzeit sehen, wie sich das Portfolio entwickelt. Sie bekommen dadurch die notwendigen digitalen Möglichkeiten, ihre Kunden besser bedienen zu können.

Capellmann: Die Chancen stehen also gut, dass Versicherer ihr enormes Entwicklungspotenzial in Sachen Digitalisierung endlich ausschöpfen. Durch Erfahrungen der Verbraucher mit anderen Unternehmen aus dem E-Commerce verändern sich auch ihre Erwartungen an das Versicherungsgeschäft. Es geht künftig mehr denn je darum, diesen mit auf den Kunden zugeschnittenen Produkt- und Dienstleistungsinnovationen zu begegnen.