Die Wiederwahl Sergio Mattarellas bedeutet Kontinuität im politischen System Italiens

31.01.2022

Von Reto Cueni, Chief Economist bei Vontobel / Foto: © Vontobel

3. Mario Draghi hat nun das letzte Wort bei jeder größeren Reform, die Italien 2022 verabschieden muss. Dazu zählt unter anderem die Prioritätenliste der wichtigsten Änderungen, die in Italien erforderlich sind, um EU-Gelder zu erhalten. Diese enthält unter anderem:

  • Einen neuen Verhaltenskodex für öffentliche Arbeiten
  •  Umsetzung der Justizreform mit einem klaren Zeitrahmen für Gerichtsverfahren, ein Problem für die Wähler von Movimento 5 Stelle
  •  Anpassung/Überarbeitung des Grundsteuersystems, hier haben die Wähler von Lega und Forza Italia Bauchschmerzen
  • Einkommenssteuerreform für Selbstständige, die mehr als 60.000 Euro im Jahr verdienen, auch das ist ein Problem für die Lega und Forza Italia
  • Rentenreform, um zu viele Frühverrentungen zu verhindern, das bereitet vor allem der Lega Kopfzerbrechen
  • Reform der öffentlichen Verwaltung, dabei könnten die Gewerkschaften eine Bedrohung für die Mitte-Links-Partei PD und die linke LEU darstellen.

4. Aber das Wahlgesetz ist das schwierigere Problem, damit die kleinere und die größere Partei in der zweiten Hälfte dieses Jahres fruchtbar zusammenarbeiten können.

Das italienische Wahlsystem basiert auf einer Mischung: 37 Prozent der Sitze werden nach dem Mehrheitswahlrecht und 63 Prozent nach dem Verhältniswahlrecht vergeben. Je größer eine Partei ist, desto wahrscheinlicher ist es, daß sie auch einen Teil der 37 Prozent der Sitze erhält, die nach dem Mehrheitswahlrecht vergeben werden.

5. Wie würden sich die Änderungen auf anstehende Reformen und das Zusammenspiel der Regierungen in der EU auswirken?

Mit Mattarella, der für weitere sieben Jahre als italienischer Staatspräsident im Amt ist, haben die pro-europäischen Kräfte einen Verbündeten für die Zukunft. Natürlich bleibt die Frage, ob Mattarella wirklich die volle Amtszeit absolvieren wird oder ob er sein Amt niederlegt, wenn nach den nächsten Wahlen (spätestens im Frühjahr 2023) eine neue (stabile) Regierung gebildet werden sollte. Auf jeden Fall bedeutet die Wiederwahl Mattarellas und die Fortsetzung Draghis in der Rolle des Premierministers eine Unterstützung von Regierungen wie der französischen, welche die wirtschaftliche und finanzielle Integration in der EU vorantreiben wollen.

Damit entsteht ein bedeutendes Gegengewicht zu den aktuellen Verschiebungen in Deutschland, wo der neue Finanzminister von der FDP eine härtere Gangart in Europa anstrebt, wenn es um Haushaltsregeln und gemeinsame Schuldenverpflichtungen geht. In Anbetracht der Tatsache, dass die jüngsten Veränderungen während der Pandemie dazu geführt haben, dass die EU mehr gemeinsame Schuldtitel ausgegeben hat, könnte jede Abweichung von diesem Weg die Anleger dazu veranlassen, ihre Position zu überdenken.

Kolumne von Reto Cueni, Chief Economist Vontobel Asset Management