„Die Weltordnung ist unvorhersehbarer und volatiler geworden“

17.12.2024

Ann-Katrin Petersen, Anlagechefin für den deutschsprachigen Raum und Osteuropa von BlackRock / Foto: © BlackRock

Zum Jahreswechsel ist Zeit für ein Resümee. Was lief im nun ablaufenden Jahr gut, welche Erwartungen wurden enttäuscht? Eine Reise um den Globus. Die Chefredaktion sprach Anfang November mit Ann-Katrin Petersen, Anlagechefin für den deutschsprachigen Raum und Osteuropa von BlackRock.

finanzwelt: Frau Petersen, Unruhe und steter Wandel prägen das Geschehen an den Kapitalmärkten. Wie fällt Ihr Blick aktuell auf die Märkte aus?
Ann-Katrin Petersen» Wir stellen fest, dass die Weltordnung unvorhersehbarer und volatiler geworden ist im Vergleich zur Vergangenheit, gerade auch mit Blick zur Phase vor Ausbruch der Pandemie. Eine stärkere, sich manifestierende Fragmentierung in unterschiedliche geopolitische Blöcke ist sichtbar. Neben dieser geopolitischen Blockbildung beobachten wir auch einen intensiveren wirtschaftlichen Wettbewerb zwischen den Staaten und damit einhergehend eine Renaissance industriepolitischer Maßnahmen. Denken Sie beispielsweise an den Inflation Reduction Act in den USA und an den Green Deal Industrial Plan, die europäische Antwort. Hinzu tritt das Thema Widerstandsfähigkeit oder Resilienz im Handel; bedeutet, der Welthandel ist derzeit von einer Neuordnung der Lieferketten geprägt, in der viele Staaten darüber nachdenken, wie sie Abhängigkeiten reduzieren und Risiken mindern können.

finanzwelt: Nun haben Sie wesentliche Punkte erwähnt, die das Geschehen an den Märkten prägen. Sind diese nur vorübergehender Natur oder auf Dauer angelegt?
Petersen» Politische Landschaften und Wirtschaftsstrukturen befinden sich im Umbruch. Diesen Trend erkennen Sie tendenziell rund um den Globus. Und zum jetzigen Zeitpunkt gehen wir davon aus, dass diese geopolitische Blockbildung und Fragmentierung eher Bestand haben werden und sich nicht verflüchtigen, ebenso wie weitere strukturelle Veränderungen wie die Alterung der Bevölkerung und der Vormarsch der Künstlichen Intelligenz (KI).

finanzwelt: Umbrüche bringen oftmals neue Gewinner auf der einen und entsprechende Verlierer auf der anderen Seite hervor. Wo verorten Sie dabei Europa?
Petersen» Europa ist ein sehr heterogenes Gebilde. Die EU nimmt im internationalen Konzert eine bedeutende Rolle im Welthandel ein. Die wichtigsten Handelspartner außerhalb des EU-Binnenmarkts sind die Vereinigten Staaten und China. Im Zuge der mannigfaltigen Veränderungen, beispielsweise in geopolitischer Sicht, ist der europäische Kontinent dabei, seine Positionierung in der Weltgemeinschaft neu zu finden und sich neu auszurichten. Das ist den Entscheidungsträgern bewusst. Gleichzeitig sieht sich der Kontinent einigen massiven Herausforderungen gegenüber. Denken Sie beispielhaft an den demografischen Wandel. Schon jetzt befinden wir uns mitten in einem Umfeld schrumpfender Erwerbsbevölkerung mit den entsprechenden Konsequenzen für das Wirtschaftswachstum. Auch das Thema der künftigen, kostengünstigen Energieversorgung Europas ist auf den Plan getreten. Das in Summe dämpft die wirtschaftlichen Aussichten. Kurzfristig gibt es aber auch Lichtblicke.

finanzwelt: Wo machen Sie diese Lichtblicke aus?
Petersen» Die Wirtschaft Europas wächst, wenn auch noch sehr langsam. Die Inflation ist gefallen, weitere Zinssenkungen sind zu erwarten und die Arbeitsmärkte zeigen sich momentan vergleichsweise robust. Viel Hoffnung ruht auf einer Erholung des privaten Konsums. Es ist zwar aktuell mit einer Verzögerung beim Aufschwung der Konjunktur zu rechnen, aber dieser dürfte 2025 anziehen. Eine tiefe Rezession im Sinne eines breit angelegten, anhaltenden Rückgangs der Wirtschaftsleistung ist aus heutiger Sicht nicht zu erwarten.

finanzwelt: Die „rote Laterne“ hat Deutschland. Der deutsche Wirtschaftsstandort leidet. Bekommen wir nach Ihrer Meinung wieder die Kurve?
Petersen» Entgegen den Erwartungen ist die deutsche Wirtschaft im 3. Quartal gewachsen. Zuletzt hatte der IWF seine Wachstumsprognose jedoch für das laufende Jahr um weitere 0,2 Prozentpunkte abgesenkt. Zum großen Gesamtbild gehört auch, dass Deutschland sich trotz wirtschaftlicher Herausforderungen als attraktiver Standort für ausländische Direktinvestitionen behauptet. Zu erwähnen ist die Stabilität politischer Institutionen in Deutschland im internationalen Vergleich, das Bildungsniveau, hinzu kommt die grundsätzliche Verfügbarkeit von privatem Kapital, um die Wirtschaftsleistung anzukurbeln.