Die unsichtbaren Risiken für die Börsen
02.09.2024
Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH
Jeden Tag das gleiche. Jeden Tag irgendwelche Zahlen zum Arbeitsmarkt, zur Wirtschaft, zu den Konsumenten usw. Aber dann vor allem ein Notenbanker hat gesagt? Alle Daten werden sofort in ein Ergebnis ausgelegt und an der Börse entsprechend reagiert. Oft sollte der Anleger in der ersten Stunde nach Bekanntgabe einer wichtigen Zahl oder Aussage nicht handeln. Die Märkte beruhigen sich oft sehr schnell. Aber auch die inhaltlichen Aussagen sind oft zu überprüfen. Denn man hat mitunter das Gefühl, wir bekommen die Nachricht so serviert, wie wir sie hören sollen. Leider ist auch die Presse mehr Sprachrohr als kritisch.
So kritisiert der Bundesrechnungshof den Umfang der 29 Sondervermögen. Das Verschuldungspotential beträgt immerhin fast eine Billion. Zwar sind nicht alle Kreditlinien ausgenutzt, aber schon einmal genehmigt. Während das Bundesministerium für Finanzen die Vorteile dieser Finanzierung anpreist, kann der Bundesrechnungshof diese Vorzüge nicht erkennen. Er führt sogar aus, dass das Parlament und die Öffentlichkeit den Überblick und sogar die Kontrolle in Sachen Bundeshaushalt zu verlieren droht. Immerhin würde sich das Verhältnis Schulden zu BIP von 72 sehr stark in Richtung 100 beschleunigen.
Finanzminister Lindner ließ das „Problem Sondervermögen“ unerwähnt und lobte den Kompromiss der Einhaltung der Schuldenbremse. Zum einen ist die Schuldenbremse nicht eingehalten, denn es bleibt eine Finanzierungslücke von 12 Milliarden. Zum anderen hat die Regierung bei ihrer „Planung“ einfach die Wirtschaft in 2025 um 1,5 Prozent steigen lassen (mit entsprechend höheren Steuereinnahmen), obwohl im Juli die Steuereinnahmen um 7,9 Proznt eingebrochen sind und die Bundesbank nur ein geringes Wachstum prognostizierte. Der Ifo-Beschäftigungsparometer sank zum dritten Mal in Folge, die Verbraucherstimmung kippt und die Arbeitslosenzahlen steigen leicht. Ebenfalls steigend sind die Insolvenzen und die Ankündigungen vom Abbau von Arbeitsplätzen. Alles Anzeichen für eine eher schwächelnde Wirtschaft.
Auch die Meldungen zur Inflation sind kritisch zu sehen. Überschriften wie „Inflation schwächt sich ab“ oder „Sind die Teuerungen vorbei“ sind eher Stimmungsmache als Realität. Denn seit 2020 ist die Geldentwertung kumuliert um 20% gestiegen, so dass selbst Gehaltserhöhungen von zehn Prozent (netto sechs bis sieben Prozent) keine, wie in Zeitungen berichtet, „Reallohnsteigerung“ darstellt. Wenn also die Inflation um 1,9 Prozent zunimmt, dann steigt sie auf hohem Niveau weiter. Arbeitskräftemangel, Deglobalisierung und höhere Gehälter weisen sogar darauf hin, dass die Inflation den Aufwärtstrend fortsetzt.
Die Hoffnungen, dass die Notenbankpolitik zum „soft landing“ führt, steht auf tönernen Füßen. Zum einen ist es den Fed´s der westlichen Welt noch nie gelungen. Andererseits haben sie auch jüngst mit den Zinserhöhungen viel zu spät begonnen. So hat die Fed mit den Erhöhungen erst im März 2022 begonnen, als die Inflation seit März 2021 bis zum Jahresende bereits auf sieben Prozen angezogen war. Die erste Erhöhung auf 0,5 Prozent klingt fast wie ein Aprilscherz. Ähnliches gilt für die EZB, wobei die Äußerung von Christine Largarde „Die Inflation kam aus dem Nichts“ fast schon ein Armutszeugnis darstellt. Aktuell könnten die Notenbanken den Zins zu lange „oben“ gehalten haben. Denn auch Zinssenkungen benötigen geraume Zeit (mind. zwölf Monate), bis sie wirksam werden.
In den USA könnte die Abkühlung der Wirtschaft schon weiter fortgeschritten sein, als die Fed uns glauben lässt. So hat das Bureau of Labor Statistics die Statistik Arbeitsplätze um weitere 818.000 Stellen nach unten revidiert, nachdem sie diese schon einmal um 300.000 Stellen reduziert hatte. Wenn mehr als 1.000.000 Stellen im privaten Sektor wegfallen, wirft dies ein schlechtes Licht auf die weitere Wirtschaftsentwicklung. Es wurden nur etwas über 100.000 Arbeitsplätze im öffentlichen Sektor aufgebaut, was viele Zynische ebenfalls als Belastung für die Wirtschaft ansehen.
Laut dem Sentiment Survey sind die amerikanischen Anleger extrem optimistisch, was einerseits die Kurssteigerungen erklärt, aber defacto ein Warnsignal darstellt. Auch der Höchststand beim DAX ist begleitet von fallenden Umsätzen. Herrscht hier die Angst „etwas zu verpassen“?
Zusätzlich werden die Börsen von wenig beachteten Gefahren begleitet. Das sind zunächst auf Kredit gekaufte Wertpapiere. Hier sind zum Teil nur 20 Prozent Sicherheiten benötigt. Etliche Börsianer bezeichnen diesen Leverage als Ursache für den finanziellen Ruin, J.C. Chandor drehte 2011 mit Kevin Spacey den Film „Der große Crash“. Er handelt davon, was passiert, wenn die Kurse fallen und die Banken für die Kreditnehmer den „Margin Call“ ausrufen. Dies geschieht, wenn die prozentuale Sicherheit unterschritten wird. Noch gravierender wird es, wenn die Kredite in einer Währung aufgenommen wurden, sogenannte Carry-Trades. Hier muss schon verkauft werden, wenn die Kreditwährung (oft Yen) steigt. Fast unverantwortlich ist das Volumen in dem Segment „Derivate“. Laut Statista liegt das Nominalvolumen bei etwa 20 Billionen. Wehe, wenn die Masse der Spekulanten falsch liegt. Allen Anlegern muss man dringend raten, falls vorhanden, alle Lombardkredite sofort „glatt“ zu stellen. Der 5. August war ein warnendes Beispiel.
Marktkommentar von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH.