Der Kunde muss im Zentrum stehen!
19.11.2013
Die Finanzbranche sieht sich gewaltigen Herausforderungen gegenüber. Insbesondere die Beratungsleistung gerät zunehmend in den Fokus von Gesetzgeber und Aufsicht. Auch die Investmentindustrie ist gefordert, zumal Investmentfonds ein abstraktes Gut sind.
Nach Angaben des Deutschen Aktieninstituts halten knapp 9 Millionen Anleger, also nur etwa jeder neunte Bundesbürger, Aktien direkt oder in Form von Investmentfonds. Das sind deutlich weniger als in 2001. Von einer Aktien-/Investmentkultur sind wir hierzulande noch weit entfernt. Dabei sollten wir nicht aus dem Auge verlieren, dass die Geldanlage in Investmentfonds zahlreiche Vorteile und Möglichkeiten eröffnet, speziell für die eigene Altersvorsorge. Aber der Schatten der Lehman-Pleite liegt auf der Branche und erschwert, neben den Regularien, das Neugeschäft.
Daneben bewegt die angestoßene Diskussion um Honorarberatung die Gemüter. Anlageberatung in Deutschland wird hauptsächlich in Form der provisionsgestützten Beratung erbracht. Etwa 300.000 provisionsabhängigen Beratern stehen nur etwa 1.500 Honorarberater gegenüber. Das soll sich ändern und die Beratung soll eine bessere werden. Der Kunde und seine persönlichen Interessen stehen schließlich im Vordergrund. „Nur Banken und Berater, die diesen Grundsatz berücksichtigen, werden langfristig auf dem Anlagemarkt erfolgreich sein können", sagte die ehemalige Bundesministerin für Verbraucherschutz Ilse Aigner.
finanzwelt befragte Branchenexperten zu den Herausforderungen im
Fondsvertrieb und in der Beraterlandschaft. Unsere Gesprächspartner:
Thomas Haas, Geschäftsführer Johannes Führ Vermögensverwaltung GmbH
Frank Huttel, Leiter Portfoliomanagement FiNet Asset Management AG
Philipp Graf von Königsmarck, Leiter Vertrieb Family Offices und Vermögensverwalter Fidelity Worldwide Investment
Andreas Rau, Leiter Vertrieb BCA AG
finanzwelt: Die deutsche Fondsbranche sammelte zuletzt netto 3,4 Mrd. Euro ein. Davon 0,8 Mrd. Euro in Publikumsfonds. Im laufenden Jahr summieren sich die neuen Gelder auf insgesamt 62,4 Mrd. Euro. Gleichwohl gelten Investmentfonds als schwer vermittelbar. Woran liegt das?
Huttel: Investmentfonds und insbesondere Aktienfonds gehören zu den renditestärksten Altersvorsorgemöglichkeiten. Der Grund dafür ist, dass besonders Aktienfonds in reale Sachwerte und nicht in nominelle Versprechen wie Anleihen investieren. Dafür sind sie aber auch mit einem höheren Risiko behaftet, was einige Anleger abschreckt. Über Investmentfonds können aber auch Kleininvestoren in Vermögensgegenstände und Märkte investieren, die ihnen ansonsten verschlossen blieben. Leider stellen wir fest, dass Investmentfonds bis auf wenige Top-Seller kaum aktiv vom Kunden nachgefragt werden. Der Berater muss dies initiieren. Hinzu kommt, dass Kunden und Berater angesichts des Marktumfelds und der Krisen nach wie vor gelähmt sind und entsprechend agieren.
Rau: Ein neues Nachdenken über den Vertrieb von Investmentfonds ist erforderlich. Es ist schon sehr schade mit anzusehen, dass mit Aktien eine Form der Geldanlage oftmals geradezu ignoriert wird, die ein Vielfaches an Ertrag bringen kann. Auch wenn viele private und institutionelle Investoren in den vergangenen Jahren der Aktie den Rücken gekehrt haben, führt unter Renditeaspekten kein Weg mehr an Aktien vorbei. Grundsätzlich bin ich der Ansicht, dass die Verbände zu wenig in die Waagschale werfen, um eine nachhaltige Investmentkultur hierzulande zu etablieren. Informationsbroschüren müssen besser auf die echten Kundenbedürfnisse zugeschnitten und der Prozess der Informationsvermittlung einfacher gestaltet sein.
finanzwelt: Der Fondsvertrieb im schwierigen Marktumfeld. Wie reagieren die Gesellschaften?
von Königsmarck: Die Fondsbranche muss das abstrakte Gut Investmentfonds greifbarer machen. Ziel muss es sein, den Kunden langfristig entsprechend seinen Bedürfnissen und Risikoeinschätzungen zu betreuen. Dies erfolgt über eine verbesserte Informationsbereitstellung. Dabei gehen wir auch neue Wege und haben eine App für Berater entwickelt, die die Möglichkeiten nutzt, die das iPad eröffnet. Zusätzlich zur besseren Informationsaufbereitung sind auch neue Produktlösungen entscheidend. So steigt zum Beispiel die Nachfrage nach Portfoliolösungen mit individuellem Vermögensmanagement, die – wie unsere Lösung SAM – die Beratung, den Aufbau und das Management des Investments, die Depotverwaltung, die Dokumentation und das Reporting beinhalten. Die Beratungsqualität wird damit gewährleistet und die Haftungssicherheit für Berater erhöht.
Haas: Die Anforderungen an Investoren und Fondsgesellschaften steigen beständig. Hohe Kursausschläge sowie starke Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Anlageklassen erschweren zunehmend das Investment. Für ihre komplexen Anlageentscheidungen erwarten Investoren dann die passenden Investmentideen und einfach umsetzbare Lösungen für ihr Portfolio. Nach meiner Meinung hat die Investmentindustrie in den vergangenen Jahren zu viele komplexe Lösungen und Anlageideen auf den Markt geworfen, die letztlich das eigentliche Ziel – im weitesten Sinne die Altersvorsorge – konterkarieren. Wenn das Nachdenken über die Fondsindustrie zu Verbesserungen führen soll, muss das in erster Linie auf eine bessere Qualifizierung aller Beteiligten abzielen.
finanzwelt: Die Fondsindustrie und Beraterlandschaft sehen sich einigen Herausforderungen gegenüber. Ein Vorwurf lautet, dass es in erster Linie nicht mehr um den Nutzen für den Kunden gehe. Honorarberatung soll der „Schlüssel zum Erfolg" sein. Ist man mit Honorarberatung gut beraten?
Rau: Wir begrüßen die gesetzliche Verankerung der Finanzberatung auf Honorarbasis als eine zusätzliche Möglichkeit neben der provisionsbasierten Beratungsform. Honorarberatung ist aber nur eine von mehreren Vergütungsformen. Grundsätzlich gilt, dass auch eine Honorarberatung nicht zwangsläufig in einer guten Beratung mündet. Damit Kunden keine bösen Überraschungen erleben, sollten sie beispielsweise mit ihrem Honorarberater ein Vorgespräch führen. Die Qualität der Beratungsleistung gilt es darüber hinaus zu fördern.
von Königsmarck: Wir sprechen uns auch für die Koexistenz verschiedener Vergütungsformen aus. Alternative Geschäftsmodelle wie etwa die Honorarberatung werden sich jedoch nicht so schnell etablieren, um dem Fondsvertrieb einen Schub zu verleihen. Taugt das britische Modell als Vorbild? Seit Jahresbeginn gilt die „Retail Distribution Review" (RDR), die Provisionen bei Vorsorge- und Investmentprodukten für Makler abschafft. Die ersten Monate zeigen, dass einerseits die Zugangsschwellen für Investoren zur Finanzberatung höher geworden sind, also weniger Kunden aktiv beraten werden. Andererseits ist die Beratung für die Anleger seither teurer geworden. Das kann nicht das Ziel sein.
Huttel: Die Anlageberatung wurde in den vergangenen vier Jahren mit Tempo reguliert und neu aufgestellt. Ziel sollte eine gesteigerte Qualität der Finanzberatung und eine bessere Information der Verbraucher sein, um für mehr Transparenz und Vergleichbarkeit von Finanzprodukten zu sorgen. Leider ist der Gesetzgeber mit seinen Maßnahmen über das Ziel hinausgeschossen. Diejenigen, die für ihre Altersvorsorge eine Beratung benötigen, werden sich diese Dienstleistung nicht mehr leisten können. Letztlich haben wir es dann im Ergebnis mit einer Zweiteilung des Marktes zu tun.
Haas: Es geht darum, für welche Leistung Berater bezahlt werden und von wem. Kümmern sich Berater um ihre Kunden scheinbar kostenfrei, verdienen sie trotzdem an Provisionen, die bei Abschluss eines Vertrags für ein Finanzprodukt fließen. Die gesamte Branche muss sich die Frage stellen, was in der Vergangenheit schief gelaufen ist. Wir suggerieren, dass Beratung nicht mit Kosten verbunden ist. Der Mentalität der deutschen Investoren entspricht es nicht, für eine Finanzberatung zu zahlen. Aufklärung und Wissensvermittlung auf Seiten der Berater und Investoren dürfen bei der gesamten Regulierungsmaschinerie nicht zu kurz kommen.
finanzwelt: Sich mit dem Thema Geld und Geldanlage auseinanderzusetzen, ist nicht gerade prickelnd. Hilft ein Schulfach „Private Finanzen", um den Stellenwert der Altersvorsorge und deren Produkte zu verdeutlichen?
Rau: Die Vermittlung von Finanzwissen ist ein ganz zentrales Thema. In den Bildungsstätten wird zu wenig getan, um junge Menschen für das Thema Altersvorsorge und Fonds zu begeistern. Führungskräfte sollten öfter in Schulen gehen und über Wirtschafts- und Finanzfragen reden und den Dialog suchen. Das ist dringend notwendig. Aber all dies wird nichts daran ändern, dass man auch am Lehrplan ansetzen muss. Wirtschaft und Finanzen müssen zu Pflichtfächern in der Schule werden.
Huttel: Das Thema finanzielle Bildung führt in der Schule nach wie vor ein Schattendasein. Biologie, Chemie etc. sind verpflichtend, aber wie viel Prozent der Menschen haben in ihrem späteren Berufsleben etwas damit zu tun? Geld jedoch betrifft jeden. Daher entstehen Aussagen wie „Der Finanzmarkt werde immer intransparenter". Selbst viele Eltern können nicht helfen und stempeln dann noch die Fondsindustrie als böse ab. Initiativen wie „Handelsblattmacht Schule" und andere müssen intensiviert werden.
finanzwelt: Kommen wir noch einmal auf den Berater und seine Dienstleistung gegenüber dem Kunden zurück. Welche Funktion nimmt er heute ein und inwiefern hat sich der Berateralltag gewandelt? Welche Lösungen gibt es?
Haas: Beim Thema Geldanlage haben die Young Professionals einen großen Vorteil gegenüber dem Rest der Bevölkerung: Sie verfügen – nach eigenem Bekunden – über ein gutes Finanzwissen und informieren sich im Netz. Viele treffen Entscheidungen zu den persönlichen Finanzen ohne fremde Hilfe.
von Königsmarck: Es kommt verstärkt darauf an, dass der Berater die Art seiner eigenen Beratungsleistung dem veränderten Kundenverhalten anpasst und zunehmend als Sparringspartner eines stärker informierten Kunden agiert. Außerdem ist es wichtig, dass der Berater nicht nur eine Anlagestrategie gemäß den Bedürfnissen seines Kunden ermittelt und das Portfolio entsprechend zusammensetzt – er muss es darüber hinaus auch laufend betreuen.
Rau: Die Regulierung hat bis dato nicht gezeigt, dass die Beratungsleistung eine bessere geworden ist. Kundenbedürfnisse und deren Umsetzung klaffen zum Teil weit auseinander. Aufgrund des gestiegenen administrativen Aufwands ist die Verlockung groß, dem Investor standardisierte Lösungen anzubieten, obwohl Individualität gefragt ist. Nichtsdestotrotz suchen Berater nach Lösungen, um ihr Geschäftsmodell und die Beratungsleistung zu standardisieren. Strategieportfolios können hier ein probates Mittel sein.
Huttel: Dabei hat die Qualität der Beratung auch Auswirkung auf die Kundenbindung. Eine hohe Fachkompetenz, ein fester Ansprechpartner sowie eine vertrauensvolle, partnerschaftliche Zusammenarbeit sind extrem wichtig. Dem Berater hilft ein Clustern seiner Kunden, so dass er im konkreten Fall abwägen kann, zu wem eine standardisierte Lösung passt und wer individuell abgestimmte Konzepte braucht. Vermögensverwaltende Produkte sind in diesem Zusammenhang ein Schritt in die richtige Richtung. Ergänzend möchte ich noch anmerken, dass nach unserer Ansicht Fondsvergleiche wenig hilfreich sind, da der Investor sich in diesem Begriffsdschungel alleine wenig zurechtfinden kann.
von Königsmarck: Wir müssen die langfristigen Kundenbedürfnisse und damit den kontinuierlichen Kundenkontakt in den Fokus stellen. Das ist entscheidend für ein nachhaltiges Beratungsgeschäft. Für den Kunden muss klar ersichtlich sein, dass die Beratung einen ebenso kontinuierlichen Mehrwert liefert. Es muss eine fortlaufende Betreuung stattfinden in dem Sinne, dass die Zusammensetzung der Portfolien regelmäßig überprüft wird. Dies beinhaltet auch eventuelle Umschichtungen, sodass das gewählte Risikoprofil nicht verzerrt wird. Wenden Berater diesen Prozess an, haben sie ihr Geschäftsmodell nachhaltig gesichert.
Fazit
Die Beraterlandschaft muss ihre ureigenste Aufgabe, das Beraten der Investoren, seriös und fachmännisch wahrnehmen. Die Finanzbranche, insbesondere der Finanzvertrieb, kann einiges dafür tun, dass die Menschen selbstbewusst, aufgeklärt und ohne falsche Scheu und Bescheidenheit mit dem Thema umgehen. Davon profitieren letzten Endes beide: der Investor und die Fondsbranche.
(Das Gespräch führte Alexander Heftrich)