"Der deutsche Aktienmarkt ist sehr industrielastig"

07.09.2021

Ivan Domjanic, Capital Market Strategist bei M&G Investments - Foto: © M&G

Der deutsche Aktienmarkt befindet sich in guter Verfassung. Bleibt das so? In welchen Sektoren geht die Rallye weiter? Wie ist die Erweiterung des DAX auf 40 Titel einzuschätzen? finanzwelt im Gespräch mit Ivan Domjanic, Capital Market Strategist bei M&G Investments in Frankfurt.

finanzwelt: Mit Blick auf die deutschen Aktien, welche Erwartungen hegen Sie kurz- bis mittelfristig? Ivan Domjanic: Der konjunkturelle Aufschwung ist weiterhin intakt, auch wenn sich die Stimmungslage zuletzt etwas eingetrübt hat. Hierfür dürfte neben den Engpässen in den Produktions- und Lieferketten v.a. der neue Anstieg der Infektionszahlen verantwortlich sein. Allerdings gehe ich davon aus, dass aufgrund der Impfquote zumindest keine neuen Lockdowns drohen und die Konjunktur somit ihren Aufschwung, wenn auch ein wenig abgebremst, fortsetzen kann. Auch was die Bewertungen der Unternehmen anbelangt, hat sich die Lage aufgrund der deutlichen Gewinnsteigerungen wieder entspannt. Der deutsche Aktienmarkt erscheint beispielsweise auf Basis des KGVs nicht mehr wirklich teuer bewertet.

Vor diesem Hintergrund besteht für die Aktienmärkte m.E. durchaus noch Luft nach oben, auch wenn eine zwischenzeitliche Korrektur im Hinblick auf die steigenden Infektionszahlen in den Herbst hinein wohl jederzeit eingeplant werden sollte.

finanzwelt: Wie fällt Ihr Fazit zur Berichtssaison aus? Domjanic: Die Berichtssaison ist m.E. zwar insgesamt positiv ausgefallen, allerdings sind hier und da auch Schwächen sichtbar geworden. So gab es beispielsweise im Industriesektor doch auch einige Enttäuschungen, was u.a. auf Engpässe in den Lieferketten zurückzuführen war. Dieses Problem könnte für die deutschen Industrieunternehmen noch einige Zeit bestehen bleiben und somit die Zahlen weiterhin dämpfen. Sobald sich jedoch diese Engpässe aufgelöst haben und auch die Infektionszahlen wieder abebben, erscheinen die Aussichten für steigende Gewinne gut.

finanzwelt: Wie bewerten Sie die Vergrößerung des DAX auf 40 Werte? Domjanic: Es ist zu erwarten, dass sich der DAX durch die Hinzunahme von 10 Titeln aus dem eher wachstumsorientierteren MDAX etwas aus der Value-Ecke herausbewegen wird. Somit wird der Index ausgewogener sein als zuvor, was aus Sicht der Diversifikation positiv zu beurteilen ist. Allerdings bleibt der DAX ein recht zyklischer Aktienindex. Daran wird m.E. auch die Neuausrichtung nicht viel ändern.

Der MDAX schrumpft hingegen von 60 auf 50 Titeln. Auch wenn einige qualitativ hochwertige Unternehmen ausscheiden, mache ich mir um den MDAX langfristig keine großen Sorgen. Es mag zunächst zwar etwas Qualität verloren gehen, es gibt jedoch m.E. genügend weitere interessante Unternehmen im Index, die jetzt einfach eine höhere Gewichtung erhalten und über kurz oder lang den Qualitätsverlust ausgleichen könnten. Außerdem wird der MDAX durch die Veränderung zu einem wahren Mid-Cap-Index, da die ausscheidenden Unternehmen ohnehin eher dem Large-Cap-Bereich zuzuordnen sind. Aus meiner Sicht erscheinen die Veränderungen daher durchaus nachvollziehbar auf beide Indizes bezogen.

finanzwelt: Welche Trends machen Sie für deutsche Aktien aus (Megathemen im Fokus o.ä.)? Domjanic: Der deutsche Aktienmarkt ist sehr industrielastig. Hier liegen die Stärken der deutschen Unternehmen. Diese Stärken gilt es in den nächsten Jahren auszuspielen, um die großen industriellen Veränderungen hinsichtlich einer nachhaltigeren Wirtschaft voranzutreiben. Auch wenn der Technologiesektor im deutschen Aktienmarkt eher unterrepräsentiert ist, haben wir u.a. mit Infineon doch einzelne Unternehmen, die weltweit durchaus als wichtige Player hinsichtlich der großen Zukunftsthemen, wie das autonome Fahren oder Robotics, gesehen werden können.

Zudem könnten deutsche Unternehmen aus dem Gesundheitswesen, z.B. aus dem Biotech- und Medtech-Bereich, in Zukunft eine führende Rolle spielen.

finanzwelt: Sehen Sie bspw. einzelne Sektoren als „Outperformer“? Domjanic: In der Medizin und Medizintechnik tut sich derzeit sehr viel. Viele Innovationen wurden durch die Pandemie zusätzlich beschleunigt. Somit sehen wir für Unternehmen aus diesem Bereich ein interessantes Wachstumspotenzial.

Vom Markt möglicherweise etwas vernachlässigt werden derzeit Versorger. Aufgrund der Energiewende und dem sich beschleunigenden Trend zur Elektromobilität sehen wir für Unternehmen, die bereits frühzeitig in erneuerbare Energien investiert haben, ein vom Markt noch unterschätztes Wachstumspotenzial. Neben den vergleichsweise günstigen Bewertungen weisen einige Versorger zudem attraktive Dividendenrenditen auf.

finanzwelt: Bleibt Value ein gewichtiges Thema hierzulande? Domjanic: Der deutsche Aktienmarkt ist eindeutig zyklischer und industrielastiger als viele andere Märkte. Daher wird Value m.E. hierzulande auf absehbare Zeit eine wichtige Rolle spielen. Das muss allerdings nicht unbedingt negativ sein. Denn die Entwicklung von Value-Aktien im Vergleich zu Wachstumstiteln ist zu einem guten Teil eine Funktion des zyklischen Aufschwungs und der Anleiherenditen. Sollte sich der Aufschwung weiter fortsetzen und sollten die Anleiherenditen wieder beginnen zu steigen, erscheinen die Aussichten für Value-Aktien im Vergleich zu Wachstumstiteln m.E. durchaus positiv. (ah)