Crash am Immobilienmarkt?

05.12.2022

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH

Wahrscheinlich jetzt nicht. Aber vielleicht später. Nicht zu leugnen sind die wachsenden Probleme für die Immobilienmärkte. Die Immobilienpreise sinken trotz hoher Inflation. Sie haben das gleiche Problem wie die Edelmetalle: Die Zinsen steigen. Aber auch bei den Immobilien klagen die Besitzer auf hohem Niveau. Wie jüngst Interhyp berichtete, haben sich die durchschnittlichen Preise einer Immobilie in den letzten zehn Jahre von 290.000 auf 540.000 Euro fast verdoppelt. Seit dem 2. Quartal 2022 sind sie auf 512.000 Euro zurückgegangen. Bei Verkäufen werden also immer noch satte Gewinne realisiert.

Die aktuelle Schwächetendenz ist allerdings auf der Käuferseite zu suchen. Einerseits dünnt der Teil der Menschen, die sich eine Immobilie leisten können, immer mehr aus (die anderen haben schon gekauft). Durch den Anstieg der Zinsen können eine deutlich größere Anzahl von Interessenten sich die Finanzierung nicht mehr leisten, zumal die Nebenkosten sich massiv verteuert haben. Wer 400.000 Euro finanzieren muss, bei dem steigt der jährliche Zinsaufwand um ca. 8.000 Euro (jetzt 3,4 % nach 1,4 %). Das sind monatlich 666 Euro Mehrkosten. Es werden derzeit Grundstücksreservierungen storniert, geplante Bauvorhaben zurückgestellt. Aber auch die Kreditinstitute ziehen ihre Finanzierungzusagen unter den veränderten Bedingungen zurück. Die Banken sprechen von einem über 20 %-igen Rückgang der Baufinanzierungen. Das statistische Bundesamt meldet den größten Rückgang bei den Auftragseingängen im Vorjahresvergleich seit 2005.

Damit steigen auch die Probleme der Bauträger. Fertig gestellte Immobilien werden ihnen nicht mehr aus der Hand gerissen. Die Zwischenfinanzierung hat sich verteuert. Sie leiden außerdem unter der Knappheit von Baumaterialien. Diese haben daher riesige Preissprünge vollzogen. Firmen, die feste Preiszusagen gegeben haben, bieten 5-stellige Beträge, wenn der Käufer vom Vertrag zurücktritt, da die Verteuerungen die Gewinnmarge aufgefressen haben. Außerdem herrscht Personalmangel. Auch Handwerker vor Ort können nicht helfen, weil sie das gleiche Problem haben. In Deutschland sind 1,214 Mio. offene Stellen gemeldet. Tendenz: steigend (+115.000 gegenüber Vorjahr). Ohne politisch zu werden, aber bei etwa vier Millionen Arbeitslosen recht unverständlich. Von der Politik ist keine Hilfe zu erwarten. Die Ampel um Minister Heil verbessern gerade die Bedingungen für Arbeitslose und machen damit Nichtarbeiten für Arbeitsfähige noch lukrativer. Besserungen sind also nicht in Sicht.

Tendenz: steigend

Nachdem aktuell die Immobilienpreise stagnieren bzw. sogar etwas zurückgehen, sind die Zinsen das wichtigste Argument für die weitere Entwicklung. Ich denke, dass mit den angekündigten, etwas kleineren Zinserhöhungen der Notenbanken im Dezember 2022 und Januar 2023 der Zinsgipfel erreicht sein könnte. Da die Konsumenten aufgrund der inzwischen zirka 15 % - igen  Inflation in 2021 und 2022 Zurückhaltung üben müssen, dürfte die Wirtschaft in den ersten beiden Quartalen in die Rezession rutschen. Denn die Wirkung der gestiegenen Zinsen wird sich dann immer kräftiger niederschlagen, auch wenn die geplanten staatlichen Hilfen diese etwas verzögern.

Die Zuwachsraten der Inflationszahlen dürften sich spätestens im März 2023 basisbedingt deutlich ermäßigen. Die Wertverluste werden aber nicht zurückgehen, sondern deren Steigerungen werden sich nur verlangsamen. Die derzeit verhandelten Lohnerhöhungen werden 2023 in die Preise einfließen. Ebenfalls die Auswirkungen von Pandemie, unterbrochenen Lieferketten und Personalmangel, der durch die demographischen Wandel noch verstärkt wird. Positiv ist der kräftige Rückgang bei den Rohstoffpreisen (z.B. Öl). Die Konsumenten müssen aber auch dann mit den hohen Lebenshaltungskosten auskommen, wenn die Notenbanken nicht nur von weiteren Zinserhöhungen absehen, sondern, um keine tiefe Rezession zu riskieren, die Zinsen wieder zu senken beginnen. Denn eine tiefe Rezession könnte aufgrund der hohen Verschuldungen eine neue Kredit- und Bankenkrise auslösen. Doch nicht nur das. Auch ein Staatsschulden-Squeeze wäre denkbar. So zum Beispiel lag bis zur letzten Finanzkrise 2008/09 das US-Haushaltsdefizit unter 600 Mrd. US-Dollar (2021: 2,5 Bill.). Seitdem haben sich die Schulden verdreifacht.

Jetzt erhöht die Fed auch noch die Zinsen. Und laut Powell ist die Spitze noch nicht erreicht. Derzeit zahlt der US-Staat allein über 700 Mrd. US-Dollar (also mehr als das Defizit 2008) an Zinsen. Tendenz: steigend. Wie sagte mein früherer Kreditchef: Den Schuldner bringen nicht die Zinsen um, sondern die Zinseszinsen.

Stagflation: Entlastung für den Immobilienmarkt?

Während die Wirtschaft davon eventuell weniger von den Zinsrückgängen profitiert, weil die Inflation fortschreitet (Stagflation), dürfte es den Immobilienmarkt entlasten, da Finanzierungen wieder billiger werden. Ob allerdings die letzten Zinstiefs wieder erreicht werden, bezweifle ich.

Wenn dann, trotz gefallenen Zinsen, die Wirtschaft nicht wieder anspringt, könnte der Kapitalmarkt steigende Risiken befürchten und höhere Zinsen verlangen. Denn die Mischung aus Stagflation/ Deflation und hoher Verschuldung kann verheerend sein. Das würde den Immobilienmarkt in die Bredouille bringen, zumal dann, wenn spätestens ab 2025 (seit 2015 Bauzinsen unter 2 % , seit 2016 bis Anfang 2022 unter 1,5 %), zehnjährige Finanzierungen zur Prolongation anstehen und nur zu deutlich höheren Konditionen verlängert werden können. Sollten mehrere dieser Problematiken auftreten, sind gravierende Preiseinbrüche nicht auszuschließen, wobei dann auch die 80 % Finanzierungsgrenze der Banken durch den Rückgang der Verkehrswerte in vielen Fällen überschritten würde.

Kolumne von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH