BU: Wann ist eine Verweisung möglich?

01.12.2020

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Zur Klärung der Frage nach der Berufsunfähigkeit hat das Gericht das Gutachten eines Sachverständigen eingeholt. Dieses kam zu dem Schluss, dass die Diagnose „Ehlers-Danlos-Syndrom“ lediglich eine Verdachtsdiagnose sei. Hingegen leide die Klägerin an einem Hypermobilitätssyndrom, was dieselben klinischen Symptome und Kriterien aufweise, die für die Form des Ehlers-Danlos-Syndroms existieren. Laut dem Sachverständigen handle es sich beim Hypermobilitätssyndrom um eine mildere Form des Ehlers-Danlos-Syndroms. Jedoch würden die immer sich wiederholende körperliche Anstrengung bei der Ausbildung zur Mechatronikerin zur Gelenkbeschwerden im Bereich der oberen Extremität, im linken Knie und im Bereich der Wirbelsäule führen. Aus der Behandlungsdokumentation ergebe sich, dass die Belastung zu chronisch wiederkehrenden, schmerzhaften Phasen aufgrund der Reizerscheinungen führe. Das Gericht kam deshalb zu dem Schluss, dass die Klägerin nicht in der Lage sei, ihren Beruf zu mindestens 50 % auszuüben.

Lag schon vorher Berufsunfähigkeit vor?

Die Versicherung verwies darauf, dass die Hypermobilität der Klägerin konstitutionell sei und schon immer vorgelegen habe. Darauf entgegnete der Sachverständige, dass die Hypermobilität nur einen Zustand beschreibe, jedoch keinen Krankheitswert habe. Krankheitswert habe es dann in Form des davon zu unterscheidenden Hypermobilitätssyndroms. Dieses könne aber nur im Falle sich chronisch wiederholender Beschwerden bejaht werden. Es bestehe lediglich eine Veranlagung, die die Entwicklung eines Hypermobilitätssyndroms als möglich erscheinen lasse. Das Gericht hat festgestellt, dass eine solche Prognose bei der Klägerin nicht möglich gewesen sei und nichts darauf hingedeutet habe, dass sie ein solches Syndrom entwickeln werde. Letztendlich habe bei der Klägerin vor Abschluss des Versicherungsvertrages ein Syndrom nicht vorgelegen.

Des Weiteren kam das Gericht zu dem Schluss, dass ein Tätigkeitsverweis der Versicherung auf den nun von der Klägerin ausgeübten Beruf aus Fotoassistentin, Fotodesignerin und Grafikdesignerin nicht möglich sei. So handle es sich jedenfalls wegen des Einkommensverlustes nicht um eine Tätigkeit, die im AVB-BU der „bisherigen Lebensstellung“ der Klägerin entspricht. Es richte sich dabei nach den Umständen des Einzelfalles, welche Einkommenseinbußen dabei als zumutbar anzusehen ist, eine generelle Prozentgrenze könne nicht festgelegt werden. Die Vergleichbarkeit der beiden Berufe scheitere an dem erlittenen Einkommensverlust von ca. 16,29 %. Dabei sei in die gebotene Einzelfallbetrachtung auch die vertragliche Vereinbarung einzubeziehen. Die Beklagte könne die Klägerin somit nicht auf eine andere Tätigkeit verweisen, um den Leistungsanspruch aus der Berufsunfähigkeitsversicherung entfallen zu lassen.

Das sollten Vermittler wissen

Die auf Versicherungsrecht spezialisierte Kanzlei Jöhnke & Reichow weist mit Blick auf diesen Fall darauf hin, dass jede Leistungseinstellung einer BU-Versicherung zwingend juristisch zu prüfen sei. So müssten bereits beim Leistungsantrag die Voraussetzungen einer Berufsunfähigkeit und die einer möglichen Tätigkeitsverweisung qualifiziert herausgearbeitet werden. Zudem zeige der Fall, dass das jeweilige Berufsbild frühzeitig mit entsprechenden Beweisen dargetan werden sollte, um Verzögerungen während des Verfahrens zu vermeiden. Für Vermittler und Versicherte sei es daher von Vorteil, sich vor dem Stellen von Ansprüchen mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens vertraut zu machen. (ahu)