Brexit – aus den Augen, aus dem Sinn?
01.10.2020
Dr. Volker Schmidt, Senior Portfolio Manager bei Ethenea / Foto: © Ethenea
Britische Wirtschaft kämpft bereits
Ein Anstieg der Arbeitslosenquote, ein weiterer Stellenabbau insbesondere im Einzelhandel und dem Unterhaltungssektor, sowie strengere Standards bei der Kreditvergabe an Hauskäufer sind darüber hinaus deutliche Anzeichen, dass die Wirtschaft im Vereinigten Königreich bereits jetzt mit signifikanten Problemen zu kämpfen hat. Die Coronapandemie hat den Spielraum der Zentralbank sowie die Handlungsfähigkeit der Regierung deutlich eingeschränkt. Auf der einen Seite sind Zentralbank und Regierung bereits jetzt in Alarmbereitschaft und die Verabschiedung von Unterstützungsmaßnahmen dürfte auf wenig Widerstand treffen. Auf der anderen Seite stellt sich aber die Frage, ob diese Maßnahmen im Umfeld einer nicht verschwindenden Pandemie nur eine zu geringe Wirkung entfalten.
Ändert der Corona-bedingte Lockdown und der dadurch hervorgerufene Wirtschaftseinbruch in der EU und in Großbritannien etwas an den Aussichten für die Brexit-Verhandlungen? Eher nicht. Es ließe sich zwar argumentieren, dass die schwierige wirtschaftliche Lage die Verhandlungsteilnehmer zu einer gütlichen Einigung treiben sollte, andererseits aber bietet sich den britischen Politikern eine günstige Gelegenheit, die Folgen verfehlter Brexit-Verhandlungen einfach auf die Auswirkungen der Corona-Krise zu schieben. Wer könnte ihnen schon das Gegenteil beweisen?
Uneinholbarer Rückschlag?
Festzuhalten bleibt: Großbritannien befand sich in einer überdurchschnittlichen guten Ausgangsposition, die Corona-Pandemie zu bewältigen. Diese Vorteile wurden fahrlässig verspielt. Zunächst weigerte sich die Regierung, den nötigen Lockdown zu erlassen, um schließlich später als viele Nachbarstaaten einen noch weiterreichenden und länger andauernden Lockdown anzuordnen. Viele Indikatoren deuten darauf hin, dass die wirtschaftliche Situation mehr als ernst ist. Die Zentralbank hat ihre Mittel bereits teilweise aufgebraucht.
Sollte nun zu dieser Gemengelage noch ein harter oder härterer Brexit hinzukommen, könnte sich eine explosive Mischung ergeben. Die wirtschaftlichen und politischen Folgen sind kaum absehbar. Klar aber ist, dass Großbritannien an Boden verlieren wird, insbesondere gegenüber der EU. Viele sahen den Entschluss, aus der Europäischen Union auszutreten, von Beginn an als historischen Fehler. Die Corona-Pandemie, die völlig verfehlte Politik der Regierung Johnson und der Brexit könnten Großbritannien nun uneinholbar zurückwerfen.“
Marktkommentar von Dr. Volker Schmidt, Senior Portfolio Manager bei Ethenea