BGH zeigt klare Kante – Das Urteil zur Werbung für Fernbehandlungen

10.12.2021

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Die rein digitale private Krankenversicherung ottonova hatte sich mit Werbung für Online-Sprechstunden eine Klage der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs Frankfurt am Main e.V. eingehandelt. In letzter Instanz entschied nun der Bundesgerichtshof gegen ottonova.

Bereits 2017 führte ottonova Video-Sprechstunden für seine Versicherten ein. Ein Jahr später erweiterte die digitale Krankenversicherung ihr telemedizinisches Angebot. Es folgte intensive Werbung für Online-Sprechstunden, digitale Rezepte und sogar Krankmeldungen per Smartphone. Die Wettbewerbszentrale aus Frankfurt sah darin einen Verstoß gegen das Heilmittelwerbegesetz (HWG) und klagte auf Unterlassung. Das Landgericht München sowie das Oberlandesgericht München gaben der Unterlassungsklage Recht, doch ottonova ging zwei Mal in Revision.

Bis 2019 war es laut HWG untersagt individuelle ärztliche Behandlungen und insbesondere eine Beratung ausschließlich über Print- und Kommunikationsmedien durchzuführen. Der Erstkontakt zwischen Patient und Arzt musste also immer persönlich stattfinden. 2019 wurde das HWG überarbeitet, der entscheidende § 9 HWG wurde geändert. Eine telemedizinische Behandlung ist seitdem möglich, „wenn nach allgemein anerkannten fachlichen Standards ein persönlicher ärztlicher Kontakt mit dem zu behandelnden Menschen nicht erforderlich ist“. Wie genau diese Standards aussehen, definiert das Gesetz jedoch nicht.

Voraussetzung nicht erfüllt

Der für Wettbewerbsrecht zuständige I. Zivilsenat des BGH bestätigte in seiner Entscheidung nun die vorherige Rechtsauffassung. Laut Urteil ist § 9 Satz 2 HWG in seiner neuen Fassung zwar nicht auf die Werbung für Fernbehandlungen anzuwenden, die unter Verwendung von Kommunikationsmedien erfolgen – dazu zählen auch Apps. Allerdings nur, wenn ein persönlicher Kontakt nach fachlichen Standards nicht nötig ist. Und diese Voraussetzung sieht der BGH als nicht erfüllt, da ottonova die Möglichkeit sämtlicher Behandlungen über die App bewarb.

Mit den allgemein anerkannten Standards ist außerdem nicht das geltende Berufsrecht für den behandelnden Arzt gemeint. Für die beworbene Fernbehandlungen ging ottonova eine Partnerschaft mit dem Schweizer Anbieter Eedoctors ein. In der Schweiz ist Telemedizin bereits seit Jahren weit verbreitet. Da es aber um Behandlungen in Deutschland geht, ist die Herkunft und das dort geltende Berufsrecht der Ärzte laut BGH unerheblich.

Auslegungssache?

Das BGH greift für die Definition von „allgemein anerkannten fachlichen Standards“ auf den entsprechenden Begriff in § 630a Abs. 2 BGB, in dem die Pflichten eines medizinischen Behandlungsvertrages geregelt werden, und die dazu von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze zurück. Demnach können sich diese Standards auch erst im Laufe der Zeit entwickeln. Das Fintech hatte also für umfassende und unspezifische Fernbehandlungen geworben, die laut BGH den allgemeinen fachlichen Standards nach HWG nicht entsprechen, ottonova hatte dies aber auch nie behauptet. Da der Versicherer deshalb keine weiteren Sachvorträge einreichte, entschieden die Karlsruher Richter abschließend, dass die beanstandete Werbung von ottonova nicht zulässig ist.

ottonova Gründer und Vorstandsvorsitzender Dr. Roman Rittweger akzeptiert die Entscheidung des BGH: „Natürlich sind wir enttäuscht, aber es ist gut, dass wir Klarheit haben. Wir werden weiterhin die Digitalisierung in der Krankenversicherung vorantreiben und unserer Vorreiterrolle gerecht werden. Wir stehen bei den digitalen Möglichkeiten in der medizinischen Behandlung noch ganz am Anfang, der Zuspruch hierfür wird sich wie ohnehin die gesamte Branche in den kommenden Jahren zunehmend verändern.“ Thomas Oßwald, General Counsel der ottonova, ergänzt: „Wir müssen natürlich zunächst die Urteilsbegründung abwarten. Aber ist schwer nachvollziehbar, dass die Fernbehandlung einerseits von der Politik gewollt und dem Gesetzgeber erlaubt, die Werbung dafür aber verboten ist." Oßwald bezieht sich damit auch auf die durch die Corona-Pandemie plötzlich vorangetriebene Telemedizin. (lb)