Berufsunfähigkeitsversicherung
09.02.2022
Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht und Gewerblichen Rechtsschutz, Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte in Parnterschaft mbB / Foto: © Jöhnke und Reichow Rechtsanwälte
Weiter führt das Gericht aus, dass die Auffassung des Klägers, gerade in ländlich geprägten Gebieten seien die dem Handwerk zuzuordnenden Berufsgruppen höher einzustufen als die schlichte Tätigkeit als technischer Zeichner, durch nichts belegt sei. Wieso sich ein solches Stufenverhältnis ergeben sollte, erschloss sich dem Senat nicht. Der Einwand des Klägers, hier müsse ausnahmsweise die Gehaltsentwicklung berücksichtigt werden, weil diese im Baugewerbe im Vergleich zum Verbraucherpreisindex deutlich positiver gewesen sei, verfange ebenfalls nicht.
Entscheidend komme es bei dem hier vorzunehmenden Einkommensvergleich auf die Sicherstellung der individuellen bisherigen Lebensumstände an, so das Oberlandesgericht. Die Berufsunfähigkeitsversicherung sichere dagegen nicht die künftige Verbesserung dieser Lebensumstände. Maßgeblich ist also danach die Lebensstellung, die der Kläger bei Eintritt der Berufsunfähigkeit innehatte und nicht die soziale, insbesondere durch die Einkommensverhältnisse geprägte Stellung, die er ohne den Eintritt der Berufsunfähigkeit hätte erwerben können. Im Ergebnis bleibe es deshalb hier bei der Anwendung des Grundsatzes, dass dem Vergleich allein das vor der Geltendmachung der Berufsunfähigkeit tatsächlich erzielte Einkommen zugrunde zu legen ist.
Fazit und Hinweis für die Praxis
Die Entscheidung des OLG Oldenburg ist nachvollziehbar. Zumal der BGH zu dieser Rechtsfrage bereits geurteilt hat und die Ausnahme, die der BGH offenen gelassen hatte, vorliegend nicht greift (BGH v. 26.06.2019 – IV ZR 19/18). Werden nach einem Anerkenntnis neue Tätigkeiten aufgenommen, so kann der Versicherer im Rahmen des Nachprüfungsverfahrens eine konkrete Verweisung aussprechen. Natürlich nur, wenn durch die neue Tätigkeit die bisherige Lebensstellung gewahrt wird (vgl. OLG Jena v. 21.12.2017 – 4 U 699/13) und keine unzulässige Verweisung auf neu erworbene Fähigkeiten im Nachprüfungsverfahren vorliegt (vgl. LG Nürnberg-Fürth v. 14.12.2017 – 2 O 3404/16). Der BGH hatte sich mit der „bisherigen Lebensstellung“ ebenfalls bereits auseinandergesetzt (BGH v. 20.12.2017 – IV ZR 11/16).
Für die Praxis ist festzustellen, dass es sinnvoll ist, jede Leistungseinstellung eines Berufsunfähigkeitsversicherers juristisch überprüfen zu lassen. Gerade wenn der Versicherte wieder neue Tätigkeiten aufnimmt und tatsächlich ausübt, könnte der Versicherer im Zweifel eine konkrete Verweisung aussprechen, welche wiederum im Einzelfall genauestens juristisch überprüft werden sollte.
Für Vermittler und Versicherte ist es stets von Vorteil, sich mit dem Ablauf eines typischen BU-Verfahrens mit einer Berufsunfähigkeitsversicherung vertraut zu machen, bevor Leistungsansprüche geltend gemacht werden. Es ist daher sinnvoll frühzeitig anwaltliche Expertise in Anspruch zu nehmen, um etwaige Anspruchsvereitelungen zu vermeiden.
Kolumne von Rechtsanwalt Björn Thorben M. Jöhnke, Fachanwalt für Versicherungsrecht & Gewerblichen Rechtsschutz & IT-Recht, Partner der Kanzlei Jöhnke & Reichow Rechtsanwälte