Aktuelle Entwicklungen auf den Finanzmärkten
07.10.2016
Johannes Flieckenschildt, Weberbank
Bekanntlich reicht schon ein Gerücht aus, um an den Finanzmärkten größere Kursbewegungen auszulösen, sofern das Gerücht nur auf entsprechend nervöse Marktteilnehmer trifft. So geschehen in dieser Woche: Eine Agenturmeldung über einen graduellen Ausstieg der Europäischen Zentralbank (EZB) aus ihrem Anleihekaufprogramm erwischte den Rentenmarkt auf dem falschen Fuß. Dass diese Meldung weder den Zeitpunkt des Ausstiegs spezifizierte noch Genaueres beinhaltete, hinderte die Zinsen nicht an einer sprunghaften Korrektur. Die 10-jährigen Renditen in Deutschland, in Italien und in den USA stiegen um 5 bis 6 Basispunkte an. Auch wenn dieser Anstieg nicht allzu hoch anmuten mag, weckt der beschriebene Fall doch Erinnerungen an den Ausstieg der Amerikaner aus ihrer ultralockeren geldpolitischen Praxis der Anleihenkäufe. Die Ankündigung im Mai 2013 des damaligen Vorsitzenden der amerikanischen Zentralbank (Fed) Ben Bernanke, in nicht allzu ferner Zukunft das Kaufprogramm graduell zurückzufahren, löste eine heftige Reaktion am Rentenmarkt aus, die sich bis heute tief in das Gedächtnis der Anleger eingebrannt hat. Derzeit sehen wir in der Eurozone jedoch noch nicht die Gefahr einer baldigen geldpolitischen Wende aufziehen. Wir mahnen aber zur Vorsicht, insbesondere was phasenweise Renditeanstiege betrifft. Konkret erwarten wir, dass es vor allem durch aufflackernde Inflationsanstiege zum Ende des Jahres und Anfang nächsten Jahres immer mal wieder zu erhöhten Schwankungen am Rentenmarkt kommen kann.
In den USA wurden die zuletzt schwachen Einkaufsmanagerindizes relativiert, indem die aktuellen Zahlen wieder deutlich besser herauskamen und somit alles andere als rezessive Tendenzen zeigten. Das passt auch in das positive Bild der Fundamentaldaten, wie wir es bereits in der letzten Ausgabe von „Finanzmarkt aktuell“ gezeichnet haben und welches weiterhin Bestand hat. Unternehmensseitig sind ähnlich erfreuliche Tendenzen in der gerade erst angelaufenen Berichtssaison zu sehen. Dem steht die US-Präsidentschaftswahl am 8. November als „Ereignisrisiko“ gegenüber. Da mit Donald Trump ein Kandidat zur Wahl steht, dessen Politik zum einen wohl die Kontinuität seines Vorgängers unterbrechen würde und zum anderen seine Programmatik protektionistische Züge aufweist, muss mit phasenweiser Unsicherheit an den Aktienmärkten gerechnet werden. Dieses Ereignisrisiko sollte aber aus unserer Sicht nicht überbewertet werden. Durch das Prinzip der sogenannten „Checks and Balances“, was die gegenseitige Kontrolle der staatlichen Organe sicherstellen und übermäßige Macht verhindern soll, werden radikale Maßnahmen nicht ohne Weiteres durchsetzbar sein. Ein wichtiger Faktor ist deswegen auch die Zusammensetzung des Kongresses nach der Wahl. Insgesamt behalten wir unsere moderat positive Einstellung zum amerikanischen Aktienmarkt bei. Als Beimischung sehen wir weiterhin Gold positiv. Auch wenn das Edelmetall diese Woche kräftig nachgab, was zu einem gewissen Grad auf das oben angesprochene EZB-Gerücht zurückgeführt wird, halten wir es als Sicherheitskomponente für sinnvoll, um gegen kommende (politische) Unsicherheiten an den Märkten gewappnet zu sein.
Abgeschlossen werden soll dieser Marktkommentar mit einem Blick auf die aktuellen Entwicklungen zum Thema „Brexit“: Auch wenn nach positiven Volkswirtschaftszahlen aus Großbritannien, wie z.B. den wiederholt steigenden Einzelhandelsumsätzen oder den erholten Einkaufsmanagerumfragen, die Brisanz des Themas etwas abgeschwächt wurde, ist es längst nicht endgültig vom Tisch. Premierministerin Theresa May gab zwar einen Fahrplan zum Brexit-Antrag vor, der spätestens Ende März 2017 gestellt werden soll, sie konnte damit aber den Anlegern die Sorgen um einem „harten Brexit“ nicht nehmen. Diese Variante des Brexits ist ein Austritt aus der Europäischen Union ohne Anschlussvereinbarungen über Handelsbeziehungen. Das Pfund setzte dementsprechend seinen Abwärtstrend fort und fiel gegenüber dem US-Dollar auf ein 31-Jahres-Tief und gegenüber dem Euro auf ein 5-Jahres-Tief. Ein sogenannter „Flash Crash“ um über 6 Prozent im asiatischen Handel, also ein Einbruch, der sich nach kurzer Zeit wieder erholt, verunsicherte am heutigen Freitagmorgen die Marktteilnehmer zusätzlich. Ähnlich starke Abwertungen des Pfundes konnten das letzte Mal zur Finanzkrise 2008 und beim Austritt Großbritanniens aus dem Europäischen Währungssystem (EWS) 1992 beobachtet werden. Kurzfristig sehen wir aber aufgrund der soliden Wirtschaftsdaten derzeit keine rezessiven Tendenzen in Großbritannien aufkommen. Mittelfristig sind aber die tatsächlichen Auswirkungen auf den Warenverkehr nach dem Brexit noch nicht kalkulierbar, und somit hat unsere Untergewichtung Großbritanniens weiterhin Bestand.
Marktkommentar von Johannes Flieckenschildt, Weberbank