Zwei blaue Augen

04.09.2019

Michael Beck, Leiter Asset Management Ellwanger & Geiger / Foto: © Ellwanger & Geiger

Heinrich Heine besang vor 190 Jahren schon die schönen blauen Augen einer Dame, bei deren Anblick es ihm wohl recht wunderlich zumute war. Die Farbe Blau erzeugte bei den regierenden Parteien in Sachsen und Brandenburg ähnlich wunderliche Gefühle und schwache Knie, allerdings nicht so positiv belegt wie bei Heinrich Heine. Mit jeweils einem dicken blauen Auge sind die CDU- und SPD-Ministerpräsidenten in diesen beiden Bundesländern aus dem Landtagswahlkampf davongekommen. Die alten Regierungskonstellationen sind durch das Erstarken der Partei mit der blauen Farbe nicht mehr möglich. Aber wenn das Zusammenraufen der drei Parteien der Mitte wiederum nur leicht bläuliche Augen verursacht, sind stabile Regierungskonstellationen mit CDU, SPD und Grünen möglich. Für die Finanzmärkte in Deutschland bedeutet dies zunächst Erleichterung, denn die Große Koalition in Berlin scheint durch dieses Ergebnis nicht unmittelbar gefährdet. Doch die Erosion der beiden großen Volksparten setzt sich fort. Auf Bundesebene werden Regierungsbildungen zukünftig wohl auch schwieriger werden.

Eine stabile Regierung in Berlin ist derzeit vonnöten, da es immer wahrscheinlicher wird, dass es in Großbritannien entweder zu einem harten Brexit oder zu einer ausgeprägten Hängepartie mit Neuwahlen kommen wird. In Verbindung mit den andauernden Abschwächungstendenzen der Weltwirtschaft und den rabenschwarzen Stimmungseinschätzungen (z. B. ifo-Geschäftsklimaindex und ZEW-Index) dürfte darüber hinaus eine Rezession in Deutschland kaum vermeidbar sein. Auch in den USA werden die Sorgenfalten auf den Stirnen der Volkswirte immer tiefer. Das Unvermögen der US-Administration, ihren irrlichternden Präsidenten einzuhegen, belastet das wirtschaftliche Sentiment ungemein. Nicht nur die ständig neuen Eskalationsstufen bei den Handelszöllen, auch der Privatkrieg des US-Präsidenten gegen die US-Notenbank Fed verunsichert die Marktteilnehmer, da eine unabhängige Notenbank der Garant für eine erfolgreiche Geldpolitik ist. Wer besichtigen möchte, was passiert, wenn sich ein Präsident ohne jeden Sachverstand zum obersten Geldhüter aufschwingt, kann dies in der Türkei tun.

Sollte dies in der größten Volkswirtschaft der Welt geschehen, mag man sich die Folgen nicht ausdenken. Für Investoren ist dies eine ungemütliche Ausgangslage. Eingezwängt zwischen absolutem Anlagenotstand im Negativ-Zinszeitalter und absolut erratischen Populisten-Aktivitäten bleibt nur übrig, die volatile Seitwärtsentwicklung der Märkte zu beobachten, bis einige der wichtigsten Sorgenthemen zumindest ansatzweise gelöst sind. Der September fiel in der Vergangenheit dadurch auf, dass er oft die zweifelhafte Ehre des schlechtesten Börsenmonats des Jahres innehatte. Daher können Investoren sich über jede Zwischenerholung der Aktienmärkte freuen, sollten aber vor dem Hintergrund schwächelnder Konjunkturdaten weiter Vorsicht walten lassen.

Marktommentar von Michael Beck, Leiter Asset Management Bankhaus ELLWANGER UND GEIGER