Zurück aufs Land?
02.01.2021
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Derzeit wird viel darüber spekuliert, ob Corona eine Disruption darstellt. Gerade in der Art, wie wir wohnen könnte sich viel ändern – in mehrfacher Hinsicht.
Anfang 1962 sorgte der ARD-Sechsteiler „Das Halstuch“ für derart hohe Einschaltquoten, dass die Straßen zu den Sendeterminen wie ausgestorben wirkten, weshalb der Begriff „Straßenfeger“ entstand. Diesen Zustand kannte man in den letzten Jahren vor allem von sportlichen Großereignissen – bis zum März 2020: Durch das weitgehende Herunterfahren des öffentlichen Lebens aufgrund der Corona-Pandemie waren Deutschlands Straßen und Plätze deutlich leerer als sonst. Die Lockerungen der Beschränkungen seit Mai haben für eine deutliche Normalisierung diesbezüglich gesorgt, die auch der „Lockdown-light“ seit November nur unwesentlich gebremst hat. Weil aber viele Freizeitmöglichkeiten weiterhin nur sehr eingeschränkt zur Verfügung stehen und auch viele Arbeitnehmer nach wie vor im Homeoffice arbeiten, werden die eigenen vier Wände immer wichtiger. „Die Wohnqualität hat durch die Pandemie erheblich an Bedeutung gewonnen. Menschen verbringen mehr Zeit in ihren Wohnungen und Häusern – kaum jemand mehr nur zum Schlafen, sondern verstärkt zum Leben und eben auch Arbeiten. Dieser neue Fokus auf Wohnen wirkt sich auch auf die Nachfrage nach Wohnimmobilien aus, die sich bereits in zurückliegenden Krisen als besonders resilient erwiesen haben“, erläutert Sebastian Zehrer, Leiter Research bei Wealthcap. Sehr spannend zu beobachten wird in den nächsten Monaten die Entwicklung des Themas Homeoffice sein: Nach Meinung von Experten könnte das Umland der Großstädte verstärkt in den Fokus rücken, wenn es zum Standard wird, dass Bürobeschäftigte mehrere Tage in der Woche im Homeoffice arbeiten. So wären die Menschen zunehmend mehr bereit, weite Pendelstrecken zur Arbeit auf sich zu nehmen, denn diese Nachteile würden durch naturnahes Wohnen und günstige Immobilienpreise in den suburbanen Regionen kompensiert.
Gibt es bald mehr Eigentümer?
Mit ca. 52 % hat Deutschland europaweit eine der niedrigsten Wohneigentumsquoten. Aufgrund der Corona-Zeit könnte sich diese Quote jedoch in den kommenden Jahren erhöhen. „Fest steht: Viele Interessenten denken jetzt neu über ein Immobilieninvestment nach. Sie setzen auf den Kauf der eigenen vier Wände, um mehr Sicherheit und Unabhängigkeit zu gewinnen. Aktuelle Umfrageergebnisse der Postbank zeigen, dass Eigentümer die Herausforderungen der Krise deutlich besser meistern als Mieter“, so Eva Grunwald. Laut der Leiterin Immobiliengeschäft bei der Postbank könnten sich die Veränderungen auch preislich auswirken: „Derzeit sind die Immobilienpreise stabil. Ich rechne darum nicht mit einer Disruption des Marktes. Der Trend zur sicheren Geldanlage in Immobilien wird sich tendenziell sogar eher preissteigernd auswirken.“ Dass Wohneigentum durch die Corona-Zeit profitiert haben könnte, unterstreicht eine Studie der Schwäbisch Hall. So gaben darin zwei Drittel der Immobilienbesitzer an, dass ihnen während der vergangenen Monate bewusst geworden wäre, welche Vorteile die eigenen vier Wände mit sich bringen würden. Zudem können sich 23 % der Befragten als Folge der vergangenen Monate vorstellen, eine eigene Immobilie zu erwerben. Dass die Corona-Beschränkungen zu einer veränderten Nachfrage auf dem Wohnungsmarkt führen könnten, macht auch eine Studie aus Österreich deutlich, wo die Corona-Einschränkungen mit denen in Deutschland vergleichbar waren. In der Umfrage des Immobilienportals FindMyHome.at gaben 96 % der Immobiliensuchenden an, dass sie bei ihrem neuen Zuhause gerne einen Balkon, eine Terrasse oder einen Garten haben würden. Dies lässt den Schluss zu, dass die die Ausgangsbeschränkungen den Wunsch gesteigert haben, an die frische Luft zu gehen, ohne das eigene Grundstück verlassen zu müssen. Bekräftigt wird diese Vermutung durch ein anderes Ergebnis der Umfrage: Von den Befragten, denen es während der Ausgangsbeschränkungen schwergefallen ist, zu Hause zu bleiben, lebten 85 % in einer Wohnung, 63 % in der Stadt und 68 % verfügen in ihrem Zuhause über keine Freiflächen. Besser zurecht gekommen sind hingegen Befragte, die am Staddrand oder in einer ländlichen Region wohnen und über einen Balkon oder einen Garten verfügen. Corona könnte also einen Trend zur Stadtflucht auslösen. (ahu)