Wichtigeres als die nächste Zinserhöhung
29.08.2016
Karsten Junius,
Das Jackson-Hole-Treffen zeigt die Grenzen der Geldpolitik: Tagelang hielten die Finanzmärkte den Atem an. Würde Janet Yellen in Jackson Hole sich klarer über den nächsten Zinsschritt äußern oder nicht. Wichtiger sollten aber eigentlich viele andere Fragestellungen und Botschaften dieser eher zentralbanktechnischen Tagung gewesen sein.
(fw/rm) Dazu gehören die Einschätzungen, dass das Potenzialwachstum sowie die neutralen Leitzinsen zukünftig wesentlich niedriger liegen könnten als bisher angenommen und dass die unkonventionellen geldpolitischen Maßnahmen einen quasi-permanenteren Status bekommen würden, wenn andere Politikbereiche nicht entsprechend ihrer Verantwortung aktiv werden. Das Ergebnis der Jackson Hole Tagung mag manchen ernüchtert haben. Zumindest diejenigen, die sich Klarheit erhofft hatten, ob im September 2016 nun mit einer Zinserhöhung der Fed zu rechnen ist oder nicht. Ein zweiter Blick auf die Referate der Tagung zeigt aber, dass Geldpolitik weit mehr beinhaltet als die Frage des nächsten Zinsschrittes. Er zeigt vor allem einige technische Fragestellungen, mit denen sich Zentralbanken beschäftigen, wenn es um die Implementierung ihrer Geldpolitik geht. Darüber hinaus kann man besser verstehen wie stark die Geldpolitik von der allgemeinen Wirtschaftspolitik abhängt. EZB-Direktoriumsmitglied Cœuré machte es wahrscheinlich am klarsten: Die geldpolitischen Maßnahmen der EZB seien eine notwendige Reaktion auf die außergewöhnlichen Umstände gewesen. Sie seien als temporäre Maßnahmen gedacht gewesen unter der Annahme, dass andere Politikbereich in ihren Verantwortungsbereichen aktiv würden. Solange dies nicht ausreichend der Fall sei, werde die EZB tiefer ihren operativen Rahmen ausschöpfen, um ihr Mandat zu erfüllen. Cœuré erkannte auch an, dass die negativen Zinsen unerwünschte Nebeneffekte haben können. Die Verantwortung für diese Nebeneffekte weist er damit den anderen Politikbereichen zu. Richtig ist, dass die Geldpolitik das Potenzialwachstum nicht beeinflussen kann. Sinkt dieses aufgrund von strukturellen und konjunkturellen Gründen, dann sind auch die neutralen Leitzinsen niedriger. Richtig ist auch, dass die EZB über Jahre Strukturreformen angemahnt hat, die die Wirtschaftspolitik nachhaltiger und die Währungsunion stabiler gemacht hätten. Dazu hätten beispielsweise Reformen im italienischen oder deutschen Bankensektor gehören können, nachhaltigere Rentensysteme, die Angstsparen minimieren würden, eine längere Wochenarbeitszeit in manchen Ländern, flexiblere Arbeitsmärkte oder offenere Dienstleistungssektoren in anderen. Die Verantwortung dafür, dass all diese Reformen ausgeblieben sind und das Potenzialwachstum im Euroraum immer weiter gesunken ist, liegt nicht bei der EZB, sondern bei der allgemeinen Wirtschaftspolitik. Allerdings hätte die EZB andere Schlussfolgerungen daraus ziehen können, dass ihr Reformaufruf immer wieder ungehört geblieben ist. Ihre Geldpolitik hätte dann vielleicht nicht blind darauf vertraut, dass andere Politikbereiche ihrer Verantwortung schon gerecht werden. Vielleicht wäre die Währungsunion heute stabiler, wenn die EZB sich mit manchen ihrer in der Tendenz angemessenen Maßnahmen etwas mehr Zeit gelassen und stärker signalisiert hätte, dass sie eine nachhaltige Wirtschaftspolitik ergänzen aber nicht ersetzen kann.
Eine Finanzmarktkolumne von Karsten Junius, Chefökonom, Bank J. Safra Sarasin AG