Wegweisendes EuGH-Urteil

02.05.2023

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Warum für Autofahrer erneut gute Chancen auf Schadensersatz zu erwarten sind 

Der Dieselskandal der deutschen Autohersteller ist in den letzten Jahren medial etwas in den Hintergrund gerückt. Im Hinblick auf Volkswagen etwa ist höchstrichterlich längst geklärt, dass die Abschalteinrichtung des VW-Motors EA189 mit ihrer Prüfstanderkennung illegal war. In der Folge wurden Software-Updates durchgeführt, die für eine Abgasreinigung im Rahmen sogenannter „Thermofenster“ sorgen sollen. VW und auch andere Hersteller, die diese Technik verwenden, geloben, sich hiermit an geltendes Recht zu halten. Dass dem nicht so ist, sondern stattdessen (weiterhin) millionenfache Stilllegungen oder Hardware-Nachrüstungen drohen, sieht neben dem EuGH nun auch das VG Schleswig so.

Thermofenster – was steckt dahinter?

Thermofenster klingt deutlich weniger kriminell als Abschalteinrichtung. Tatsächlich verbirgt sich dahinter aber nach wie vor eine Schummel-Software. Ein Thermofenster ist eine Abschalteinrichtung für Dieselmotoren, bei der eine Abgasreinigung nur in einem bestimmten Außentemperaturbereich, beispielsweise zwischen 20 bis 30 Grad Celsius, stattfindet. Ist es wärmer oder kälter, werden die Abgase weniger oder auch gar nicht mehr gereinigt. Die deutschlandweite Mitteltemperatur lag im Jahr 2021 laut Umweltbundesamt bei ca. 9,2 Grad Celsius und damit weit überwiegend in einem Bereich, in dem nur eine reduzierte bzw. gar keine Abgasreinigung stattfindet. Nur von Juni bis August werden überhaupt Durchschnittstemperaturen von mehr als 15 Grad Celsius erreicht. Die Wirkspanne der Abgasreinigung ist also offensichtlich nicht auf die tatsächlichen Temperaturen in Deutschland, Mitteleuropa oder den USA ausgerichtet, sondern vielmehr auf die Bedingungen von Abgasprüfständen, um in Testsituationen Grenzwerte einzuhalten. Über die Zulässigkeit solcher Thermofenster streiten daher seit Jahren Umweltverbände wie die Deutsche Umwelthilfe (DUH) mit Autobauern und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA)

EuGH: Thermofenster illegal 

Der EuGH hatte bereits mehrfach über die Zulässigkeit von Thermofenstern zu entscheiden und dabei klargestellt, dass diese regelmäßig illegal sind (zuletzt Urt. v. 8.11.2022, Rs. C-873/19). Dies ergebe sich aus Art. 5 Abs. 2 S. 1 EG-Verordnung 715/2007, der lautet: „Die Verwendung von Abschalteinrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, ist unzulässig“. Ausnahmsweise zulässig ist eine Abschalteinrichtung nur, wenn „die Einrichtung notwendig ist, um den Motor vor Beschädigung oder Unfall zu schützen und um den sicheren Betrieb des Fahrzeugs zu gewährleisten“, Art. 5 Abs. 2 S. 2 EG-Verordnung 715/2007. Auf diese Ausnahme berufen sich die Autohersteller, laut denen keine andere technische Möglichkeit bestehe, den Motor zu schützen. Doch das ließ der EuGH nicht gelten: Bereits zum Zeitpunkt der Herstellung der Autos stand eine bessere – wenn auch teurere – Technik zur Verfügung, die auch bei niedrigeren Temperaturen eine funktionierende Abgasreinigung ohne Beschädigungsgefahren ermöglicht hätte. Gemeint sind insbesondere SCR-Katalysatoren mit „AdBlue“-Technik. Außerdem, so der EuGH, dürfe das nach Art. 5 Abs. 2 S. 2 EG-Verordnung 715/2007 ausnahmsweise zulässige Abschalten der Abgasreinigung nicht öfter auftreten als das zugrunde liegende Verbot der Verwendung von Abschalteinrichtungen. Die während der meisten Zeit des Jahres nicht funktionierenden Thermofenster verstießen gegen dieses Regel-Ausnahme-Prinzip und seien somit illegal.

Sieg der DUH vor dem Verwaltungsgericht Schleswig

Das VG Schleswig hatte nun über eine Klage der DUH gegen die vom KBA erteilten Freigabebescheide zu entscheiden, bei denen das Amt Thermofenster für zulässig erachtet hatte. Unter Zugrundelegung der EuGH-Rechtsprechung über die grundsätzliche Illegalität von Thermofenstern kippte das VG Schleswig die vom KBA erteilten Freigabebescheide (Urt. v. 20.02.2023, Az. 3 A 113/18). Dies bedeutet für Millionen von PKW entweder die Notwendigkeit einer Hardware-Nachrüstung oder schlimmstenfalls sogar die Stilllegung. Zwar wird erwartet, dass einer Rechtskraft des Urteils zunächst die Berufung von VW und dem KBA entgegensteht und die Sache schlussendlich in Leipzig beim BVerwG landet. Die eindeutige Rechtsprechung des EuGH dürfte hierbei jedoch erneut die Richtung vorgeben.

Kein Einlenken seitens der Politik

Trotz der vom EuGH wiederholten Einstufung der Thermofenster als illegal bleibt ein Einlenken des Bundesverkehrsministeriums oder des seiner Fachaufsicht unterliegenden KBA bisher aus. Statt spätestens jetzt ihre Haltung zu Thermofenstern zu revidieren, wartet die Politik offenbar ein höchstinstanzliches deutsches Urteil ab und erkauft den Autobauern somit weiter Zeit.

Genügt für Schadensersatzanspruch bald Fahrlässigkeit von VW und Co.?

Währenddessen steht in der Sache ein weiteres wegweisendes Urteil des EuGH bevor. Während der BGH nämlich für Schadensersatzansprüche von Autokäufern bislang eine „vorsätzliche und sittenwidrige Schädigung“ der Autobauer gem. § 826 BGB voraussetzte (und ablehnte), will der EuGH-Generalanwalt in seinem Schlussantrag einfache Fahrlässigkeit der Fahrzeughersteller für deren Haftung genügen lassen. Einer solchen Rechtsprechung hätte sich der BGH zu beugen. Da sich Fahrlässigkeit einfacher bejahen lässt, müsste der BGH den geschädigten Käufern zukünftig somit auch in diesen Fällen Ersatzansprüche zugestehen. Am Dienstag, dem 21. März 2023, wurde hierüber ein abschließendes Urteil des höchsten europäischen Gerichts erwartet.

Fazit

Sollte sich der EuGH wie üblich der Auffassung seines Generalanwalts anschließen und damit die Voraussetzungen für Schadensersatzansprüche deutlich senken, kämen bald erneut hohe Schadensersatzforderungen auf die Autobauer zu. Daher gilt es für Verbraucher nun, das kommende Urteil abzuwarten und anschließend gegebenenfalls eigene Ansprüche durchzusetzen.


Axel Wegne
r
Rechtsanwalt
TILP Rechtsanwaltsgesellschaft mbH