Wegducken? Transformieren!

02.08.2023

Matthias Pink. Foto: Savills

Plötzlich ging es schnell. Die steile Zinswende hat den mehr als eine Dekade währenden Superzyklus am deutschen Immobilienmarkt abrupt enden lassen. Das hat viele Marktakteure derart überrumpelt, dass sie in eine Schockstarre verfallen sind. Abwarten lautet die Devise. Die Verunsicherung ist möglicherweise auch deshalb so groß, weil längst nicht nur die Zinsen eine Wende vollziehen. Demographische Wende, geopolitische Wende, Klimawende, KI-Wende, Mobilitätswende. Und so weiter. Wende ohne Ende. Wie sollte man da nicht verunsichert sein?

„Was nun kommt, bleibt unscharf (…), weil zu viele Wenden gleichzeitig stattfinden“, schreibt Stephan A. Jansen. Und auch: „Es wirkt unkomfortabel“. Aber hallo! Da erscheint Abwarten als die sicherste und bequemste Option. Doch seien wir ehrlich: Ein Zyklustal mögen wir aussitzen können. Eine Zeitenwende lässt sich so nicht bewältigen. „Aus der Krise herausinvestieren“, das Motto des diesjährigen „Quo Vadis“-Kongresses, ist da schon besser. Immerhin schubst es uns an, bringt uns in Bewegung. Doch wohin sollen wir uns eigentlich bewegen? Auf schnellstem Wege aus der Krise, sicher. Und dann? Ebenso wenig wie stoisches Abwarten hilft, ist stures Geradeausfahren das Richtige.

Viele Immobilien, am prominentesten vielleicht die einst stolzen Warenhäuser, sind auf diese Weise in den letzten Jahren gestrandet. Und manch Eigentümer mit ihnen. Angesichts der teils umwälzenden Veränderungen in vielen gesellschaftlichen Bereichen, die den Strukturwandel im Einzelhandel in Tempo und Ausmaß um ein Vielfaches übertreffen, ist ein „Weiter so“ ganz sicher keine erfolgversprechende immobilienwirtschaftliche Strategie. Kopfloser Aktionismus, wie er sich zum Beispiel beim Umsetzen der ESG-Vorgaben beobachten lässt, aber auch nicht.

Ein Ziel muss her

Wer eine Transformation heil überstehen will, muss sich selbst transformieren. Nun sind Aktionismus und Transformation durchaus nahe Verwandte. Sie unterscheiden sich aber in einem ganz entscheidenden Punkt: Dem Aktionisten geht es in erster Linie darum, den herrschenden Ist-Zustand zu überwinden. Er stört sich an etwas und will davon weg. Die Transformatorin dagegen hat ein Ziel vor Augen, zu dem es sie hinzieht. Von außen betrachtet mögen sich beide zum Verwechseln ähnlich sehen, doch der Schein trügt: Während er auf der Flucht ist, kann sie das Ankommen kaum erwarten. Er will sich, zum Beispiel, schnellstmöglich von Objekten trennen, die morgen womöglich nicht mehr ESG-konform sein könnten. Sie strebt einen nachhaltigen Gebäudebestand an. Er läuft vor den Risiken weg, sie nimmt die Chancen in den Blick.

Transformationszutat #1: Nachhaltigkeit

Was dem Einzelnen transformativen Schwung verleiht – ein attraktives Ziel nämlich – kann auch die ganze Branche in Bewegung setzen. Der ZIA-Slogan „Wir geben Leben Raum“, verstanden als Dienst an der Gesellschaft, kann ein solches Ziel oder zumindest dessen Ausgangspunkt sein. Im Konkreten lassen sich daraus viele Ziele ableiten. Zwei Zutaten wird aber vermutlich jede Immobilienstrategie benötigen, will sie erfolgreich durch die Transformation führen: Nachhaltigkeit und Kundenfokussierung. Zutat eins ist existenziell. Ohne einen weitgehend CO 2 -freien Gebäudebestand riskieren wir, dass in einigen Generationen wenig Leben übrig ist, dem wir noch Raum geben könnten. Und weil der bei Weitem größte Emissionsposten bei Gebäuden auf ihre Errichtung entfällt, sind ökologisch nachhaltige Immobilienstrategien bestandsorientierte Strategien. Punkt.

Transformationszutat #2: Kundenfokussierung

Nachhaltigkeit ist, wenn man so will, die Kröte, die wir schlucken müssen. Kundenfokussierung, die zweite Zutat einer transformativen Immobilienstrategie, ist dagegen fast schon ein Garant für gute Geschäfte. Und, welch ein Glück, kaum eine Branche dürfte leichteren Zugang zu ihren Kunden haben als die Immobilienbranche. Die Menschen verbringen nahezu ihre gesamte Lebenszeit in unseren Produkten, den Gebäuden. Dennoch wissen viele Immobilieneigentümer praktisch nichts über diese Menschen. In einer weitgehend analogen Welt war das auch nicht nötig, weil Immobilien über lokale Monopole verfügten. Einfach gesagt: Wer einkaufen wollte, musste ins nächstgelegene Warenhaus. Wer seiner Schreibtischarbeit nachgehen wollte, konnte das nur im Unternehmensbüro. Die Kunden waren da und sie hatten keine Wahl. Heute jedoch können sie praktisch alles von überall aus tun und das Monopol vieler Immobilien ist verschwunden oder bröckelt. Wer in dieser Welt seine Kunden nicht kennt, hat bald keine mehr. Wer sich jedoch mit ihnen und ihren Wünschen auseinandersetzt, vermietet ihnen keine Quadratmeter mehr, sondern stillt ihr Bedürfnis nach zufriedenen Kunden (Einzelhandel), einer produktiven Belegschaft (Büro) usw. Er schafft es, dass sein Produkt nicht mehr vorrangig als Kostenblock, sondern als Produktivitätsfaktor gesehen wird. Das ist vermutlich nicht nur die Voraussetzung für eine erfolgreiche Transformation, sondern auch für Margen, von denen klassische Vermieter bald nur noch träumen können.

Marktkommentar von Matthias Pink, Head of Research bei Savills.