Was sind das eigentlich für Idioten, die Klopapier hamstern?
21.04.2020
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Es ist ein Phänomen, das am gesunden Menschenverstand der Leute zweifeln lässt. Dass die Leute verunsichert sind wegen Corona versteht man ja. Dass sie Sorge um ihre Versorgung haben auch. Doch statt sich mit den lebenswichtigsten Gütern einzudecken, wird ausgerechnet Klopapier gehamstert?
Die Sache ist komplexer und der erste Eindruck täuscht. Normalerweise kaufen nur 5 von 100 Supermarktkunden Klopapier. Das sind dann 5 Packungen. Nun reagieren einzelne Menschen besonders sensibel auf die aktuelle Lage. Einige von ihnen haben vielleicht eine Angst- oder Zwangsstörung, manche sind schlicht schizophren und nehmen die Umwelt anders wahr. Einige wenige erahnen eine Geschäftsmöglichkeit und wollen Klopapier im Internet teurer verkaufen. Plötzlich kauft einer von 100 Kunden 10 Packungen. Statt der üblichen 5 Packungen verkaufen sich nun 15 je 100 Supermarktbesuchern. Das ist an sich keine große Veränderung, doch die Verdreifachung der üblichen Kaufmengen sorgt für ein leeres Regal. Hier kommen wir alle nun ins Spiel. Nach ein paar Tagen sprechen sich die leeren Regale rum. Wir bemerken diese, lachen darüber und beginnen schließlich uns Sorgen zu machen. Normalerweise kaufen wir eine Packung à 24 Rollen, brauchen diese auf und kaufen dann die nächste. Direkt nach dem Kauf haben wir demnach 24 Rollen, direkt vor dem Kauf eine Rolle im Haus. Im Schnitt haben wir demnach einen Lagerbestand von 12 Rollen. Doch nun sehen wir ständig leere Regale und fragen uns, ob wir bei unserem nächsten Kauf leer ausgehen. Wir planen nicht uns einen Lagerbestand aufzubauen, aber wenn wir mal wieder Klopapier entdecken, nehmen wir vorsichtshalber eine Packung mit. Statt 12 Rollen, haben wir nun einen Lagerbestand von 36 Rollen. Damit haben wir alle plötzlich unseren Bestand verdreifacht und damit fast einen Jahresbestand zuhause. Die Lager der Produzenten haben für Bedarfsschwankungen immer gut einen Monatsverbrauch Vorrat liegen, doch durch unseren unerwarteten Vorratskauf sind auf einen Schlag 3 - 4 Monatsmengen im Bedarf entstanden. Das heißt die Regale bleiben leer und das über Monate. Dieser Effekt, der aus leicht verändertem Kaufverhalten entsteht, wird dann bedrohlich, wenn er auf wichtige Lebensmittel oder gar lebenswichtige Medikamente übergreift. In diesem Moment sind die Kollateralschäden für unsere Gesellschaft unverhältnismäßig. Herzkreislauferkrankte bekommen ihre Blutdrucksenker nicht mehr, Krebspatienten können nicht mehr behandelt werden, Ärmere leiden Hunger, Menschen sterben an einfachen Infektionen, weil es einen Mangel an Antibiotika gibt. Plötzlich wird das Undenkbare denkbar: Ein Zusammenbruch unserer Gesellschaft. Der Mantel der Zivilisation ist viel dünner gewebt, als mancher sich vorstellen kann.
Deswegen ist fehlendes Toilettenpapier keine Lächerlichkeit. Es ist ein Warnsignal und zeigt wie ernst die Lage ist. Das Corona-Virus ist real eine überschaubare Bedrohung und die Mittel zur Eindämmung bestenfalls unverhältnismäßig. Die Angst vor dem Virus rechtfertigt hingegen die volle Entschlossenheit unseres Staates. Wir retten nicht nur 80-jährige. Wir retten unsere Gesellschaft. Wenn Du Dich also das nächste Mal fragst, welche Idioten, das Toilettenpapier-Regal leer gekauft haben mach Dir klar: Das waren Du und ich.
Kolumne von Oliver Pradetto, Geschäftsführer blau direkt