Warum Krisentauglichkeit zur neuen Währung der Büroimmobilie wird

07.04.2021

Eike Becker / Foto: © Eike Becker_Architekten

Krisen sind nicht vorhersehbar und werden relativ zueinander bewertet. Sie haben die Tendenz zur Eskalation. Und weil Krisen an sich nichts Gutes bewirken, versuchen wir wenigstens aus ihnen zu lernen. Das fällt der innovationsskeptischen Immobilienwirtschaft schwer. Aber Bauherren sollten die disruptive Kraft der pandemisch beschleunigten Digitalisierung und Dekarbonisierung annehmen. Krisenresistentere Gebäude sind nicht nur ein Werbeversprechen.

Headoffice und Homeoffice war gestern

Auch Unternehmen außerhalb der Immobilienwirtschaft tun sich schwer. Laut einer Umfrage des Instituts der deutschen Wirtschaft haben zwei Drittel der Firmen nicht vor, ihren Beschäftigten nach der Coronakrise mehr Homeoffice als vor der Krise zu ermöglichen. Trotzdem wird auch das Headoffice neu gedacht werden. Was einst die repräsentative Hauptverwaltung war, wirkt angesichts der selbstbestimmten Arbeitsweise im Homeoffice aus der Zeit gefallen. Effizient, dezentral und offener wird die Arbeitswelt sein. In einer Mischung aus vielfältigen Angeboten werden nicht-territoriale Arbeitsplätze im Büro in Kombination mit dem Schreibtisch zuhause eine zentrale Position einnehmen. Bereits vor Corona konnten groß angelegte Umfragen die positiven Effekte autonomer Formen von Arbeit auf die Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben, Leistung, Motivation und Wohlbefinden bestätigen. Unternehmen werden mit dem Homeoffice auch das Thema Hotdesking wieder auf die Agenda bringen.

Weniger Technik, mehr Thermik

Auch die Frage nach dem baulichen Infektionsschutz steht auf der Liste. Kann Architektur in einer kommenden Pandemie so geplant und ausgestattet sein, dass es den Anforderungen einer derartigen Krise besser gerecht wird? Wie steht es mit dem baulichen Infektionsschutz? Gesundheitsimmobilien zeigen, wie auch andere Gebäude künftig geplant werden könnten. Hier arbeiten Architekten, Epidemiologen, Hygieniker, Materialwissenschaftler und Haustechniker interdisziplinär daran, Krankenhaus- und Pflegeimmobilien infektionssicherer zu machen. Zum Beispiel durch diverse Ein- und Ausgangsbereiche, antimikrobielle Fenstergriffe und Türdrücker, die auch mit dem Ellenbogen betätigt werden können, sowie weniger mechanische und dafür mehr digitale Technik zur Frischluftversorgung. Diese Forschungsprojekte stehen aber noch am Anfang. Und die Ergebnisse müssen in Relation zu ihrem Aufwand für Büroimmobilien hinterfragt werden. Viele denken auch außerhalb der Gesundheitsarchitektur intuitiv an verbesserte Lüftungstechnik. Höhere Luftwechselraten, Klimatisierung auch in den Aufzugskabinen, mechanische Be- und Entlüftung der Fluchttreppenhäuser, Einbahnstraßensystem in den Toilettenbereichen, automatisch öffnende Türen und so weiter. All das dürfte die Kosten für die Haustechnik wieder einmal deutlich erhöhen. Aber das halte ich weder für erstrebenswert noch besonders sinnvoll.

Büros ohne Elektrokabel

Was bereits seit Jahren angekündigt wurde, dürfte bald tatsächlich Wirklichkeit werden: ein gutes WLAN-Netz wird den Hohlraumboden mit der aufwändigen Elektroverkabelung ersetzen. Angesichts der rasanten Entwicklungen in der Akkutechnologie werden bald die Computer, Telefone und Leuchten batteriebetrieben sein und am Arbeitsplatz eine Stromversorgung überflüssig machen. So können Schreibtische auf Rollen je nach Bedarf für Teamwork zusammengeschoben oder für Einzelarbeit mit flexiblen Trennwänden wieder separiert werden. Dann ist das Post-Corona Büro der Zukunft flexibel anpassbar an die unterschiedlichsten Bedürfnisse. Und damit auch an so manche Krise, die noch keiner vorhersehen kann. Heutige Gebäude dürfen nicht für einen Zeitraum von 20 Jahren gebaut werden. Sie müssen für 200 Jahre gedacht sein. Deshalb sollten sie robuster und nutzungsflexibler werden, weniger mechanische Technik verwenden, die Digitalisierung endlich nutzen und den mobilen und selbstbestimmten Arbeitsweisen entsprechen. Ähnlich, wie der Mensch durch Resilienz Lebenskraft und Widerstandsfähigkeit gewinnt, brauchen Gebäude neben vielen anderen Qualitäten zusätzlich Flexibilität und Einfachheit, um auch zukünftige Krisen überdauern zu können.

Gastbeitrag von Eike Becker, Eike Becker_Architekten