Warum Gold? – Weil sich die Welt verändert
02.07.2024
Rolf Ehlhardt - Foto: © I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH
Vom Sport weiß man, dass eine Sportart nur funktioniert, wenn es Regeln gibt, an die sich jeder halten muss. Auch an der Börse haben sich „Regeln“ entwickelt. Wir nennen sie allerdings „Verhaltensmuster“. Denen liegen bestimmte Entwicklungen zugrunde, vor allem bei Wachstum, Inflation, Zinsen und Geopolitik. Derzeit „passen“ an der Börse alte Muster nicht immer zu den Kursentwicklungen. Es stellt sich sogar die Frage, ob wir die bisherigen „Verhaltensmuster“ nicht zumindest teilweise überdenken müssen.
Ein interessantes Beispiel ist Gold. Die „alten“ Argumente für Kursbewegungen waren der Realzins (Inflation minus Habenzins), Krisen, Höhe der Zinsen (Opportunitätskosten), Eurokurs zum Dollar und seit etwa 2015 die kräftig gestiegenen Staatsverschuldungen. Beim Blick zurück erkennt man, dass seit zirka 1980 bis 2020 die Inflation und mit Hilfe der Notenbanken (gestiegene Geldmenge) auch die Kapitalmarktzinsen unter Schwankungen tendenziell gefallen waren. Die Globalisierung brachten den Unternehmen Kosteneinsparungen, so dass Margen auch ohne Preiserhöhungen ausgebaut werden konnten. Diese Konstellationen generierte Wachstum, aber auch höhere Staatsverschuldungen. Es kann durchaus abgeleitet werden, dass höhere Staatsschulden auch zum Wachstum beitragen. Die in Deutschlanddiskutierte Schuldenbremse würde somit dem Wirtschaftswachstum keine Impulsemehr liefern, zumal die Ausweitung der Verschuldung immer mehr den Sozialleistungenund aktuell den Militärausgaben geschuldet ist als den notwendigen Investitionen. Alsodoch weitere Schulden aufnehmen?
Das Problem steigender Schulden ist der „Nebeneffekt“, dass dadurch sich auch der Zinsaufwand der Staaten erhöht, zumal bei den derzeit gestiegenen Zinsen. DieseAuswirkungen waren in diesem Jahrhundert nur marginal, da fallende Zinsen den Mehraufwand für gestiegene Schulden nicht spürbar werden ließ. Die USA zum Beispiel hatten die Inflation um das Jahr 1980 mit bis zu 15 Prozent Zinsen bekämpft. Allerdings bei 1,18 Bill. Schulden. Der Zinsaufwand wäre mit höchstens 177 Milliarden Dollar noch überschaubar gewesen. Heute, bei 35,4 Bill. Schulden und 4,55 Prozent Zinsen (zehnjährige Treasuries) errechnet sich der Zinsaufwand bei 1,6 Bill. Dollar. Die durchschnittliche Restlaufzeit beträgt bei den Amis derzeit weniger als sechs Jahre, das heißt Anleihen zu niederen Zinsen müssen eventuell zeitnah zu höheren Zinsen prolongiert werden. Allein in diesem Jahr sind acht bis neun Billionen fällig, zuzüglich der etwa 2 Billionen Neuverschuldung. Auch in Deutschland hat sich seit 2021 der Zinsaufwand bis 2023 nahezu verzehnfacht!
Nun hat die maßlose Gelddruckerei der letzten 15 Jahre ein schlafendes Gespenst aufgeweckt: Die Inflation. Seit 2022 bekämpfen die westlichen Notenbanken diesen Anstieg mit steigenden Zinsen. Offiziell mit Erfolg. Dabei wird allerdings verschwiegen, dass die Inflation (seit 2020 kumuliert etwa 20 Prozent) nicht fällt, sondern nur dessen Wachstumsrate zurückgeht.
Die westlichen Anleger haben in Sachen Gold nach altem Muster reagiert: Die Anstiegsrate der Inflation geht zurück. Die Notenbankzinsen wurden erhöht (USA 5,25 Prozent/ EZB 4,25 Prozent), so dass für 2024 sogar ein positiver Realzins errechnet wird. Auch der Dollar ist gegenüber dem Euro fester geworden. Also: Gold verkaufen, zumal durch die Zinsentwicklung auch die rechnerischen Opportunitätskosten gestiegen sind. Während diese Anleger etwa 30 Prozent ihrer Goldbestände verkauft haben (viele bei ca. 2.000 US-Dollar), rennt der Goldpreis von einem Hoch zum anderen (ATH: 2.450 US-Dollar), entgegen all der im Prinzip negativen Einflussfaktoren. Diese „Verletzung der Spielregeln“ stößt bei Anleger und Berater auf Unverständnis (denn sie haben ja verkauft). Gold ist derzeit in aller Munde, aber kaum in den Depots, obwohl Gold mit 13,4 Prozent besser performt hat als der DAX (8,4 Prozent). Zeit, um über die „Regeln“ nachzudenken, denn auch die Käufer haben ihre Gründe. Die Käufer sind vor allem östliche Notenbanken. Diese sind strategische Käufer, so dass deren Bestände dem Markt langfristig entzogen sind.
Was sind weitere Argumente für Gold. Zunächst könnte die Inflation (auch basisbedingt) im 3. Quartal, spätestens im vierten 2024 weiter und dann wieder mit höheren Raten ansteigen (höhere Löhne, höhere Energiepreise, Deglobalisierung und Fachkräftemangel). Eventuell begleitet durch Wachstumsschwäche, weil bei den gestiegenen Kreditzinsen deren negative Wirkung dann voll zur Geltung kommt. Werden die Notenbanken dann die Zinsen senken und eine erhöhte Geldentwertung zulassen? Ja, denn niedere Zinsen sind grundsätzlich positiv für die Wirtschaft und begrenzen den Zinsaufwand der Staaten trotz steigender Schulden. Aber es entsteht auch ein kräftiger Minus-Realzins, der über die steigende Inflation noch ausgebaut würde. Ein riesiges Kaufargument für Gold. Außerdem könnten die Anleger, vor allem in den USA, Zinssenkungen nicht als Erleichterung ansehen, sondern als Warnsignal. Der DAX hat jedenfalls auf die erste Zinssenkung der EZB erst einmal negativ reagiert. Die Börsen-Strategie „Buy the rumor, sell the fact“ könnte den Abwärtstrend verstärken oder sogar auslösen.
Wie hat sich die Welt für Gold bereits geändert? Die Emerging Markets erwirtschafteten in 2024 wohl mehr als die Hälfte des Welt-BIPs. Zur Jahrhundertwende waren es noch nicht einmal 20 Prozent. Die stärksten Entwicklungsländer haben die BRICS-Staaten gegründet, die regen Zuwachs erfahren. Dieser Staatenbund bekommt immer mehr Einfluss auf das Welt- und damit auf das Börsengeschehen. Dort wachsen nun auch die Guthaben von immer mehr Bewohnern dieser Länder, die für Gold ein großes Faible haben, so dass die Nachfrage nach Gold langfristig ansteigen wird (erklärt auch die Höchststände trotz der westlichen Verkäufe). Durch das Einfrieren oder Konfiszieren von Geldern aus diesen Ländern nach Einmarsch der Russen in der Ukraine, sehen immer mehr dieser ausländischen Anleger von einer Kapitalanlage in der westlichen Welt ab. Da sie auch den eigenen Regierungen nicht trauen, die Immobilienmärkte zum Teil eingebrochen und Aktienmärkte nicht mehr gestiegen sind, kaufen sie das, was sie kennen und in das sie volles Vertrauen haben: Gold. So ist in Dubai ein riesiger Goldhandel/Markt entstanden, der den Märkten New York, Zürich oder London ein ernster Konkurrent geworden ist. Spätestens wenn Krisen entstehen (Wirtschaft, Banken, Verschuldung, Euro) werden auch die westlichen Anleger an den Goldmarkt zurückkehren und den Goldpreis kräftig steigen lassen. Denn die Goldproduktion ist nach heutigen Erkenntnissen kurz- und mittelfristig nicht ausbaubar. Derzeit sind Goldminenaktien unbeachtet, ja sogar gemieden und deshalb unterbewertet. Rücksetzer sind daher Kaufgelegenheiten.
Ich habe für meine Kunden Xetra-Gold Alt-Bestände verkauft, inzwischen aber wieder zurückgekauft. Diese Anlage ist nach zwölf Monaten Haltedauer steuerfrei. Hier waren bis zu 70 Prozent steuerfreie Gewinne aufgelaufen. Aus heutiger Sicht werden die Kunden die Neukäufe in Gold länger als zwölf Monate halten, die damit wieder steuerfrei wären. Warum der Verkauf? Ich befürchte, je mehr Anleger sich ins Gold flüchten, umso höher die Gefahr, dass die Politik die Steuerfreiheit streicht. Rückwirkend können die realisierten Gewinne sicher nicht nachversteuert werden.
Marktkommentar von von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH