Warum gerade in schwierigen Zeiten der Wert einer Immobilie von wachsender Bedeutung ist

04.01.2023

Jochem Kierig, Leiter für den Bereich Research & Development der Sprengnetter GmbH (l.), und Maximilian Müller, Business Manager im Vertrieb Immobilienfinanzierung bei der ING Deutschland (r.) - Foto: © Sprengnetter GmbH / ING Deutschland

Hohe Immobilienpreise kombiniert mit steigenden Zinsen und explodierenden Energiekosten haben für den Baufinanzierungsmarkt aktuell einschneidende Folgen. Immer mehr Kundinnen und Kunden fragen sich, ob sie sich eine Immobilie in Zeiten wie diesen überhaupt noch leisten können. Wie eine präzise und marktgerechte Bewertung sichergestellt wird, dazu haben wir mit Jochem Kierig, Leiter für den Bereich Research & Development der Sprengnetter GmbH, und mit Maximilian Müller, Business Manager im Vertrieb Immobilienfinanzierung bei der ING Deutschland gesprochen.

finanzwelt: Der Immobilienmarkt ist aktuell stark unter Druck – wie wirkt sich das auf die Immobilienpreise aus? Jochem Kierig: Die Verkäuferseite ist verunsichert und überlegt sich mit Blick auf die negativen Auswirkungen der Inflation ganz genau, ob der Zeitpunkt der richtige ist, die Immobilie jetzt anzubieten. Und die Käuferseite weiß nicht, ob sie sich bei den aktuell hohen Zinsen und teuren Immobilienpreisen das Wohneigentum überhaupt leisten kann oder auch will. Bei einer solchen Marktsituation muss der Markt ein neues Gleichgewicht finden. Die Preise sinken. Und zwar das erste Mal seit zwölf Jahren – durchschnittlich gegenüber dem Vorquartal um 3 %. Ob sich dieser Trend fortsetzen wird, ist noch nicht klar. Maximilian Müller: Ja, die Zinsen steigen und die fallenden Immobilienpreise stehen erst am Anfang. Aber nicht flächendeckend. Da gibt es regional deutliche Unterschiede. Folgt man den Aussagen der Volkswirte, wird der Markt voraussichtlich in 2024 wieder steigen, aber um wie viel, das weiß niemand. Dafür muss das Gefühl der Unsicherheit weichen. Es ist schwierig vorherzusagen, wie lange dieser Prozess dauern wird.

finanzwelt: Wie wird eigentlich der Preis für eine Immobilie errechnet? Kierig: Neben der Lage ist natürlich die Substanz der Immobilie ganz entscheidend für den Wert des Objekts. Dementsprechend werden z. B. Einfamilienhäuser üblicherweise im Sachwertverfahren bewertet. Der Sachwert ist kurz gesagt die Summe aus Bodenwert und Zeitwert der baulichen Anlagen. Für den Bodenwert sind insbesondere die Lage und Größe des Grundstücks sowie dessen Nutzungsmöglichkeiten entscheidend. Der Zeitwert der baulichen Anlagen hängt insbesondere ab von der Größe, dem Alter und dem Zustand der Anlagen. Wir bei Sprengnetter vergleichen die so ermittelten Sachwerte systematisch mit den tatsächlich gezahlten Kaufpreisen und leiten aus diesen Vergleichen sogenannte Marktanpassungsfaktoren ab, mit denen die Sachwerte an die aktuelle Marktsituation angepasst werden. Ergebnis ist der durchschnittlich bei Verkauf zu erzielende Preis der Immobilie (der Marktwert). Der Beleihungswert ergibt sich ähnlich. Unter Berücksichtigung diverser Sicherheitsabschläge ist dieser teils deutlich geringer als der Marktwert.

finanzwelt: Wie kann es sein, dass der für die Finanzierung angesetzte Preis dennoch weit unter dem Markt- oder Verkaufspreis liegt? Kierig: Das Institut muss damit rechnen, dass der Markt nicht nur aufwärts geht. Auch fallende Immobilienpreise wollen eingeplant werden. Deshalb handelt es sich bei dem angesetzten Wert um eine vorsichtige Bewertung. Bei Neubauten kommt hinzu, dass das Objekt bei einer Verwertung nicht mehr neu ist. Basis für die Preisfindung im Rahmen der Finanzierung sind deshalb die Erlöse bei Zweiterwerb, die deutlich niedriger sind als die bei Ersterwerb. Das kennt jeder vom Auto. Kaufen Sie einen Neuwagen, haben Sie in dem Moment, wo Sie vom Hof fahren, mehrere tausend Euro verloren.

finanzwelt: Haben die Marktveränderungen Einfluss auf den Bewertungsprozess? Kierig: Gerade jetzt ist es besonders wichtig, die Kreditentscheidung schnell und verbindlich zu bekommen. Die Vollintegration der Wertermittlung in die Antragsstrecke ist die logische Konsequenz. Müller: Da können wir aus unserer Sicht nur zustimmen. Der Objektwert spielt, was die Machbarkeit der Finanzierung betrifft, eine wichtige Rolle – das hat Konsequenzen, auch für die Bewertung. Gemeinsam mit der Firma Sprengnetter haben wir das Tool für unsere Vermittlerinnen und Vermittler an unsere interne Einwertung angepasst. Sie können jetzt also besser einschätzen: Finanziert die ING Deutschland dieses Objekt? Ist der Objektwert für die geplante Finanzierungskonstellation passend? Oder muss ich meine Finanzierung anders aufstellen? Gekoppelt an eine vereinfachte Erfassung der Objektdaten gewährleisten wir mit der neuen Immo-Check-Bewertung eine höhere Abschlusssicherheit bei der ING-Baufinanzierung. Das kommt auch bei den Kundinnen- und Kunden gut an. Unsere Vermittlerinnen und Vermittler haben dieses Tool übrigens schon lange gefordert, jetzt können wir liefern.

finanzwelt: Welchen Nutzen hat die Objektbewertung für die Vermittlerinnen und Vermittler in ihrer Beratung? Müller: Früher musste alles vor allem einfach und schnell über die Bühne gehen, heute ist es wichtiger, sowohl die Kunden- als auch die Vermittlerseite hinsichtlich der Machbarkeit zu unterstützen. Eine möglichst frühzeitige und vor allem auch werthaltige Indikation über den Immobilienpreis ist heute ein wesentlicher Punkt in der Beratung. Jetzt mit der wachsenden Bedeutung der Nachhaltigkeit einer Immobilie kommt noch ein weiterer Aspekt dazu: Den Kundinnen und Kunden geht es heute weniger um die mögliche Wertsteigerung, sondern eher um den Werterhalt einer Immobilie. Wer heute eine Immobilie aus den 70er Jahren kauft, muss – mit Blick auf die Werterhaltung – die Modernisierungs- und Sanierungskosten in den Kaufpreis einkalkulieren oder sich mit einem fallenden Preis abfinden. Das Beispiel zeigt: Die präzise Einwertung der Immobilie wird immer wichtiger. Kierig: Deshalb bieten wir bei Sprengnetter neben der klassischen Markt- und Beleihungswertermittlung mit Five2Click auch ein für Beratungszwecke entsprechend konzipiertes Bewertungsprodukt an – den ImmoWertReport mit detaillierten Informationen zum lokalen Immobilienmarkt. Wichtig ist aber auch die Durchgängigkeit der Bewertung im gesamten Kreditprozess, welche wir mit dem neuen Five2Click bzw. ING ImmoCheck sicherstellen. Müller: Und das ist ein Vorteil, von dem unsere Vermittlerinnen und Vermittler seit Mitte November sehr gerne profitieren. Sie haben bei der neuen Version den Vorteil, dass der Wert, den sie in der Beratung kommunizieren, mit sehr hoher Wahrscheinlichkeit auch der Wert ist, zu dem die ING Deutschland die Immobilie finanziert.

finanzwelt: Last but not least: Worauf muss eine Kundin oder ein Kunde mit Blick auf die Bewertung der Immobilie achten? Müller: Neben dem klassischen Blick auf die Lage, Lage, Lage, sollte auf jeden Fall jeder, der heute eine Immobilie kauft, ganz genau auf den Preis schauen und die künftigen Kosten z. B. für eine Sanierung mit einplanen. Nur wenn das sichergestellt ist, macht der Erwerb mit dem Blick auf die Energiewende auch Sinn. Idealerweise vertraut man bei Immobilienbewertung auf professionellen Rat – zum Beispiel im Rahmen der Finanzierungsanfrage. Ein präzise ermittelter und korrekter Immobilienwert sollte der Ausgangspunkt für die Einschätzung der Finanzierung sein. Kierig: Der Kauf einer Immobilie ist oft hoch emotional. Und erfolgte in den letzten Jahren unter erheblichem Entscheidungsdruck. In solchen Fällen ist es gut, wenn man unabhängige, transparente und objektive Informationen zur Entscheidungsfindung heranziehen kann, wie z. B. zu welchem Preis vergleichbare Immobilien in letzter Zeit angeboten wurden und wie sich der lokale Immobilienmarkt aktuell und in der Vergangenheit entwickelt hat. (fw)