Von wegen Ladenhüter
24.09.2013
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Erst war's der Riester, dann der Rürup – und jetzt ist es der Bahr. Spötter sprachen bereits von einem Walk of Fame der Gesundheits- und Sozialpolitik, auf dem sich Bundesminister für die Nachwelt verewigen dürften. Doch der Pflege-Bahr, zum Jahresbeginn eingeführt, mausert sich.
Ende Mai hatten die Bundesbürger 125.000 Verträge abgeschlossen, mittlerweile dürften es um die 150.000 sein. Und nachdem anfangs selbst viele privaten Krankenversicherer dem neuen Modell mehr als skeptisch gegenüberstanden, hat sich auch dieses Bild gewandelt. Das bestätigt beispielsweise Philipp Vogel, Vorstand der DFV Deutsche Familienversicherung: „Per Ende August 2013 verzeichneten wir bereits doppelt so viel Pflegegeschäft wie im – auch durch den Unisex-Schlussverkauf – sehr erfolgreichen Jahr 2012. Der Pflege-Bahr hat hieran entsprechenden Anteil. 80 % unserer Pflege-Bahr-Kunden haben sich dabei zusätzlich für die Kombination mit unserer ungeförderten ‚DFV-Deutschland Pflege Ergänzungsdeckung' entschieden." Derzeit bietet bereits die Hälfte der knapp 50 Unternehmen den Pflege-Bahr an. Ladenhüter ist etwas anderes.
Zwar hatte die schwarz-gelbe Koalition ihr eigentliches Ziel eines großen Wurfs verpasst, statt einer umfangreichen Reform der Pflege in Deutschland hat sie aber immerhin ein Modell auf den Markt gebracht, das sich sehen lassen kann. Auch von der ursprünglich erwarteten Abneigung der Vermittler ist nichts zu spüren. Schließlich ist nicht nur die Abschlussprovision beim Pflege-Bahr auf zwei Monatsbeiträge gedeckelt. Auch der Beratungsaufwand fällt nicht gerade gering aus. Doch geschickte Marketing-Maßnahmen der Versicherer haben offenbar gewirkt. Da lässt sich der Pflege-Bahr prima als Türöffner für weitere Abschlüsse nutzen. Etwa auch für zusätzliche Pflegeergänzungspolicen. Die Absicherung des Demenzrisikos, also die Pflegestufe 0, ist beim Pflege-Bahr nämlich nicht vorgeschrieben.
Ändern müsste sich allerdings der allgemeine Informationsstand zu diesem Thema. Viele Bundesbürger vertreten noch immer die hochgefährliche Ansicht, sie zahlten ja ohne hin Zwangsbeiträge in die soziale Pflegeversicherung. Das müsste doch für den Ernstfall wohl genügen. Doch das tat es vor der Einführung der neuen Zusatzpolice nicht, und das tut es seitdem immer noch nicht. Schon die Pflichtversicherung ist lediglich ein Grundschutz, der Mitte der 80er Jahre in erster Linie eingeführt wurde, um die Sozialkassen zu entlasten. Zu den tatsächlichen Pflegekosten trägt er vielfach nicht einmal ein Drittel bei. Und der Pflege-Bahr, mit einem Fünfer im Monat staatlich gefördert, liefert im Ernstfall nur ein besseres Zubrot. 600 Euro monatliches Pflegegeld im Monat müssen die Verträge mindestens bringen. Sonst werden sie nicht gefördert und dürfen auch nicht als solche verkauft werden. Wirklich ausreichend ist dies nicht, da sind sich auch die Experten der Versicherer einig. So etwa Dr. Winfried Gaßner, Bereichsleiter Vertrieb/Marketing beim MÜNCHENER VEREIN: „Der Anteil der Menschen, die in Deutschland eine private Pflegevorsorge haben, ist mit unter fünf Prozent erschreckend gering. Ein stärkerer Anreiz könnte hier sicher Abhilfe schaffen." Eberhard Sautter, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Hanse-Merkur, sieht das ähnlich: „Die Förderung wird auf Sicht nicht ausreichend sein. Man sollte jetzt aber den historischen Schritt (…) erst einmal würdigen und nutzen und nicht gleich wieder kleinreden." Immerhin habe der Pflege-Bahr das Bewusstsein für das finanzielle Risiko bei Pflegebedürftigkeit in der Bevölkerung definitiv geschärft, meint dazu nicht nur Andreas Seidl, Leiter des Kompetenzcenters Personen/Vorsorge/Finanzen beim Maklerunternehmen vfm. Wobei ein wichtiger Aspekt nicht vergessen werden darf, meint Frank Kettnaker, Vorstand der HALLESCHE Krankenversicherung: „Natürlich ist der Anreiz umso größer, je höher die Förderung ausfällt. Doch es wäre aus meiner Sicht der falsche Weg, nur nach dem Staat zurufen und den Einzelnen völlig aus der Verantwortung zu nehmen." So weit, so gut. Oder auch nicht.
Denn ein Blick hinter die Kulissen der Tarifgestaltung zeigt nicht nur immense Leistungsunterschiede zwischen den jeweiligen Anbietern. Er lüftet auch den Schleier über der Qualität eines Angebots, wenn es um die Pflegestufen II und III geht. Denn die gesetzliche Anforderung an die Mindestleistung gilt ausschließlich für den worst case: die Pflegestufe III. Eben diesen Blick hat das Analysehaus MORGEN & MORGEN (M & M) im Juni bei insgesamt 20 privaten Krankenversicherern getan. Und dabei Bemerkenswertes zutage gefördert: Untersucht wurde die Eintrittsalter 20, 40 und 60 Jahre. Positiv bleibt festzuhalten, dass die Versicherer offenbar trotz des Kontrahierungszwangs beim Pflege-Bahr großzügiger kalkuliert hatten als vom Gesetzgeber verlangt. Selbst beim schlechtesten Anbieter im M & M-Vergleich gibt es für die 20-Jährigen statt der 600 gleich 840 Euro. HALLESCHE, Central und NÜRNBERGER hingegen toppen dies locker mit ihren jeweils 1.980 Euro. Knapp dahinter folgen der MÜNCHENER VEREIN mit 1.800 und die Alte Oldenburger mit 1.710 Euro. In den beiden älteren Bevölkerungsgruppen sind die Sätze naturgemäß bei allen Produktgebern niedriger.
Doch dann kommt der prozentuale Abschlag in den unteren Pflegestufen ins Spiel. Dort muss – nachvollziehbar – nur ein Teil der für die Stufe III festgeschriebenen Leistung erbracht werden. Und hier gibt es erneut riesige Unterschiede zwischen den Anbietern. Zahlt der eine Versicherer in der Stufe II noch immer 70 % des vollen Satzes, so lässt ein anderer seine Kunden mit nur 30 % buchstäblich im Regen stehen. In der Pflegestufe I liegt die Bandbreite dann nur noch bei 20 bis 35 %. Stephan Schinnenburg, Geschäftsführer von MORGEN & MORGEN, warnt deshalb: „Der Anbieter mit dem höchsten Pflegemonatsgeld in Pflegestufe III ist nicht automatisch auch der Anbieter, der in den Pflegestufen I und II die höchste Leistung bietet." Dies war im Übrigen laut M & M-Analyse bei den 20-Jährigen in beiden Fällen der Deutsche Ring.
(Dr. Hermann Schmidt-Dieburg)