Viele Kinder werden kieferorthopädisch falsch behandelt

22.05.2018

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Im Rahmen einer Studie im Auftrag der hkk Krankenkasse kritisieren zwei Experten die kieferorthopädische Behandlung von Kindern und Jugendlichen scharf. Die Behandlungen wären zum Teil nicht zweckmäßig und für die Patienten sogar nachteilig. Die Probleme sind schon lange bekannt.

Laut der aktuellen Studie „Kieferorthopädische Versorgung von Kindern und Jugendlichen im Spiegel von Routinedaten (2012-2017)" gibt es zahlreiche Missstände bei der kieferorthopädischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen. Die Studie wurde unter der Leitung von Dr. Bernhard Braun vom Bremer Institut für Arbeitsschutz und Gesundheitsförderung (BIAG) und Dr. Alexander Spassov, Facharzt für Kieferorthopädie, im Auftrag der hkk Krankenkasse erstellt.

Es wird zu viel geröntgt

Die Studienautoren bemängeln, dass fast alle Versicherten mit Röntgenstrahlen untersucht wurden, unabhängig vom Alter und der kieferorthopädischen Erfordernis. "Ein klarer Verstoß gegen die nationalen und internationalen Röntgenverordnungen zum Schutz der Gesundheit junger Menschen“, kritisiert Dr. Bernhard Braun.

Lieber kurz eine feste Spange als länger als eine lose

Für die meisten Kinder und Jugendliche ist wohl alleine schon alleine aus ästhetischen Gründen eine herausnehmbare Zahnspange angenehmer als eine feste Spange. Deshalb erhalten auch zwei Drittel der Versicherten vor einer festen Spange eine sogenannte lose Spange. Laut den Studienautoren ist jedoch in den meisten Fällen die ausschließliche Behandlung mit einer festen Spange zweckmäßig und wirtschaftlich. "Eine feste Spange kommt zudem dem Wunsch der meisten Kinder und Jugendlichen nach einer möglichst kurzen Behandlung entgegen. Außerdem wirkt sie  sich positiv auf Lebensqualität und Behandlungstreue aus", nennt Dr. Alexander Spassov die Vorteile einer festen Zahnspange gegenüber eine losen. In diesem Zusammenhang kritisieren die Studientautoren auch, dass die Behandlungsdauer mit bis zu drei Jahren zu lang in den meisten Fällen nicht medizinisch  zu begründen sei. "Gründe für die unnötige Ausdehnung der  Behandlungszeit sind die formale Vergütungsdauer von zwölf Quartalen und die systematische Aneinanderreihung der Behandlung mit losen und festen Spangen", führt Dr. Bernhard Braun aus.

Unterstützung erhält der Experte vom Bundesrechnungshof, der die Ausgaben der gesetzlichen Krankenkassen für kieferorthopädische Behandlungen in Höhe von jährlich 1,1 Mrd. Euro (hinzu kommen die Kosten privatärztlicher Behandlungen) bereits in diesem Jahr kritisiert hat. Zwischen 2008 und 2016 haben sich die Ausgaben ungefähr verdoppelt, obwohl gesicherte Erkenntnisse zum Nutzen solcher Behandlungen fehlen. Um diese Entwicklung korrigieren zu können, bedarf es laut Dr. Braun eines ganzen Maßnahmenkatalogs: "Behandlungsbedarf und Indikationsstellung müssen zuverlässiger erfasst und ausgewertet werden. Im Anschluss daran müssen Wirksamkeit und Nutzen der  Behandlung objektiv bewertet werden. Die Behandlungsdauer sollte von bisher bis zu 36 Monaten auf maximal 24 Monate begrenzt werden. Zudem ist die Qualität der Beratung und die Aufklärung der Patienten zu  verbessern, um die hohe Zahl der Behandlungsabbrüche zu senken."

Probleme schon lange bekannt

Die in der jetzigen Studie kritisierten Missstände sind alles andere als neu. So zeigte sich schon der hkk-Studie "Kieferorthopädische Behandlung von Kindern und Jugendlichen aus dem Jahr 2012", dass im Rahmen der kieferorthopädischen Behandlung von Kindern und Jugendlichen Referenzmaßstäbe und evidenzbasierte Behandlungsleitlinien fehlen. Anspruch auf eine  Behandlung besteht dann, wenn die Fehlstellung eine funktionelle  Beeinträchtigung zum Beispiel des Kauens, Beißens oder Atmens verursacht. In der Praxis werden jedoch Fehlstellungen lediglich anhand einer sogenannten kieferorthopädischen Indikationsgruppe (KIG) identifiziert und funktionale Beeinträchtigungen nicht weiter  berücksichtigt. (ahu)

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