Vertriebene des Glücks
12.06.2016
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Als „Vertreibung aus dem Paradies“ bewerten viele Vermittler rückblickend die Zeit vor den Regulierungen 2007 und 2013. Doch die Erinnerung trügt, denn es gab auch vorher schon gesetzlich geregelte Grundlagen.
Der entscheidende Unterschied liegt in ihrer Inanspruchnahme, ein Umstand, der manchen Vermittlern erst vor Gericht schmerzlich bewusst wurde.
Glücksspiel VSH-Deckung
Noch in der jüngeren Vergangenheit gab es praktisch keinerlei Vermögensschadenhaftpflicht (VSH)-Lösungen am Markt, die konzeptionell so umfassend angelegt gewesen wären, als dass diese nicht auch alle vermittelbaren Produkte aus dem so benannten „grauen Kapitalmarkt“ gebührend berücksichtigt hätten. Vermittler mussten sich je nach VSH-Lösung für oder gegen bestimmte Produkte entscheiden, oder bei der Vermittlung ohne VSH-Schutz arbeiten. Ein hohes Risiko, das auch die VSH-Versicherer kannten und einzelne Produktgeber aus diesem Grund innerhalb einer ansonsten versicherten Produkt-Kategorie schlichtweg ablehnten. Mit der klaren Zuordnung bestimmter Produkte zu den jeweiligen Zulassungen nach § 34 f1, § 34 f2 oder § 34 f3 ist auch der VSH-Schutz eindeutig geregelt. Versichert ein VSH-Anbieter einen der Bausteine, so muss er seit der Regulierung alle sich darin befindlichen Anbieter ohne Ausnahme versichern.
Risiko beim VSH-Policen-Wechsel
Bei einem VSH-Policen-Wechsel ohne ausreichende Prüfung dahingehend, welche der früher in den Altpolicen versicherten Umstände wegfallen, ging man in der Vergangenheit große Gefahren ein. Mitunter führte dies dazu, dass entweder einzelne Bestandteile oder auch manchmal die komplette Übernahme der Nachhaftung auf die Vorverträge verloren ging. Somit existierte im Nachgang bei einem Schaden aus der Vergangenheit plötzlich kein Versicherungsschutz mehr. Diese Problematik, die vor allem für ältere VSH-Verträge galt und heute nur noch eine verschwindend geringe Anzahl betrifft, wurde nach dem Ausscheiden aus der Branche für die Vermittler ein ernstzunehmendes Problem. Bei späteren Schadensmeldungen stellten die Vermittler nämlich fest, dass sie plötzlich für ihren ehemals bereits bezahlten Versicherungsschutz jetzt doch selbst aufkommen sollten. Die eigentliche Krux stellt die damals begrenzte Nachhaftung im Bereich der Finanzanlagenprodukte dar, vor allem für Vermittler von sog. „exotischen“ Produkten, also all jenen Konstrukten, die es jetzt in den neu regulierten Kategorien nicht mehr gibt. Die Konsequenz: Keine aktuelle VSH-Lösung steigt mehr in die Übernahme dieser Altrisiken ein. Doch ungeachtet solcher Einschränkungen hat sich insgesamt seit Einführung der VSH als Berufshaftpflicht vieles für Vermittler verbessert. So ist z. B. die unbegrenzte Nachhaftung in der Versicherungsvermittlung ein Umstand, der sich für das Gros der Vermittler nach ihrem Ausscheiden aus der Branche von existenzieller Bedeutung erweist. Dieser wichtigen Absicherung hätten sicher nur wenige VSH-Gesellschaften ohne gesetzliche Vorgabe zugestimmt.
VSH-Mindestdeckungssummen vs. Individualprüfung
Durch die Regulierung sind einige Unsicherheiten in den VSH-Tarifen der Vergangenheit ausgeglichen worden. Wer nun allerdings erwartet, dass alle Vermittler hochwertig zum Schutze der Verbraucher über VSH-Lösungen abgesichert sind, täuscht sich. Gewiss hat sich die Mindestdeckungssumme von 1,3 Mio. Euro für so manchen Vermittler als Segen herausgestellt. Die Höhe einzelner Schadensfälle dagegen macht immer stärker bewusst, wie schnell die Mindestdeckungssummen in der VSH bei erfolgreichen Vermittlern – gerade auch im Bereich der Finanzanlagenvermittlung – überschritten werden können. Die staatlich verordnete Mindestdeckung sagt also nichts darüber aus, ob dieser VSH-Schutz für den Einzelnen ausreicht. Es gibt erhebliche Gefahren-Potenziale, die der Gesetzgeber nicht beurteilen und somit auch nicht in geeigneter Form vorschreiben kann. Eine individuelle VSH-Risiko-Prüfung ist dringend anzuraten, denn welcher Vermittler hat die Höhe der VSH-Deckungssumme mit seinem individuellen Risiko abgeglichen? Nur eine VSH-Policen- und Deckungssummenprüfung bei der Risikopotenziale, Tätigkeitsschwerpunkte und die bestehende VSH vom fachlich versierten Makler überprüft werden, befördert mögliche Gefahrenquellen und risikorelevante Defizite in Gänze ans Tageslicht. Wer als Vermittler beispielsweise noch Privathaftpflichtverträge mit 1 Mio. Euro Deckungssumme im Bestand hat oder Deckungssummen zwischen 3 bis 5 Mio. Euro im Gewerbebereich vermittelt, dem wird bei genauerer Betrachtung eines sehr schnell deutlich: Die heutigen Schadensummen sind erheblich höher und übersteigen schnell die Höhe der VSH-Deckungssumme von 1 Mio. Euro. Die Folgen? Akute Existenzgefährdung und die eigene Insolvenz drohen! Selbstbehalt und Schadensanzahlfalle In der Finanzanlagenvermittlung kommt es leider immer wieder zu Fällen, die den Totalverlust von Kapitalanlageprodukten bedeuten. Unter solchen Umständen kann es für betroffene Vermittler fatal werden, wenn sie zur Reduzierung der VSH-Prämie einen hohen Selbstbehalt von z. B. 2.500 oder 5.000 Euro gewählt haben. Erfolgreiche Vermittler haben bekanntermaßen schnell 20 Kunden – und oft genug auch deutlich über 50 – in kurzer Zeit in derlei Anlagen vermittelt. Mit der gleichen Anzahl an Schadensfällen ist zu rechnen, wenn ein Produktgeber insolvent ist – und für jeden Kunden dann der vereinbarte Selbstbehalt zu tragen ist. Den doppelten oder gar 5-fachen Betrag selbst tragen zu müssen, ist für viele Einzelkämpfer eine existenzielle Bedrohung. Aus dieser Unkalkulierbarkeit heraus bietet der Markt mittlerweile vereinzelt optimierte VSH-Lösungen ohne Selbstbehalt an, da anders als in den privaten Sparten Haftpflicht und Hausrat mit dem Selbstbehalt in der VSH nicht sog. Bagatellschäden verhindert werden sollen.
Tippgeber-Haftung verschärft
Bereits in der Vergangenheit waren nicht wenige Tippgeber gelinde gesagt überrascht, wenn sie plötzlich neben den Vermittlern in die Ansprüche bei Produkt-Nachteilen bis hin zum Totalverlust der Produkte konkret mit in die Haftung genommen wurden. Noch gravierender ist der Schrecken aber, wenn plötzlich die Polizei vor der Tür steht, klingelt und mit dem Vorwurf des „bandenmäßigen Kapital-Anlagebetrugs“ anschließend Haus und Büro zu durchsuchen gedenkt. In den betroffenen Fällen hatten Vermittler in der Vergangenheit Empfehlungen ausgesprochen und dieses Produkt damals auch für sich gezeichnet, ohne sonst an der Vermittlung für die Kunden beteiligt gewesen zu sein. Eine Vergütung war dafür nie geflossen. Nun ist das empfohlene Unternehmen mittlerweile insolvent und die Kapitalanlagen sind nichts mehr wert. So sah es exemplarisch in einem aktenkundigen Fall ein Anwalt eines Kunden als angemessen an, alle Namen, die ihm zu dem Fall benannt werden konnten, mit in eine Strafanzeige einzubeziehen. So kam es – ungeachtet der Ansprüche an die VSH – im konkreten Fall zu einer Strafanzeige gleich gegen 2 unbedarfte Tippgeber. Geschildertes Prozedere häuft sich dabei in jüngerer Zeit. Natürlich laufen viele dieser mutmaßlich unberechtigten Anzeigen – im Regelfall zwischen 17 und 40 Monate – ins Leere und enden mit einem Freispruch. Dennoch müssen die Kosten für die unvermeidliche Strafverteidigung, die sich in der langen Zeit häufig zwischen 12.000 bis 50.000 Euro und auch deutlich darüber bewegen, von den Betroffenen selbst getragen werden, sofern sie nicht Straf-Rechtsschutz versichert sind. Eigentlich eine untragbare Situation, weshalb praktisch jedem Vermittler dringend eine geeignete Straf-Rechtsschutzversicherung angeraten ist.
Immer umfangreicher und kostengünstiger
Dass Investitionen in die Sicherheit heute wirtschaftlich erheblich leichter möglich sind, zählt zu den erfreulich positiven Entwicklungen in der VSH: Die Prämien haben sich seit 1998 von ca. 5.000 Euro für 1,5 Mio. Euro Deckungssumme deutlich verringert. Heute werden Nettoprämien bereits ab ca. 1.500 Euro p. a. (Jahresvertrag) bzw. 1.400 Euro p. a. (3-Jahresvertrag) für 5 Mio. Euro Deckungssumme angeboten. Insofern ist aus genannten Gründen die Entscheidung für einen umfangreichen und kostengünstigen VSH-Schutz für Vermittler nicht nur dringend angeraten, sondern demnach aktuell leichter umsetzbar, als je zuvor.
Dr. Hubert Schmid Rechtsanwalt, CMS Hasche Sigle
(Deckungskonzepte Vermögensschadenhaftpflicht / finanzwelt 03/2016)