Vertrauen wir den Falschen

03.07.2023

Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH / Foto: © I.C.M.

Im Nachhinein gilt es als relativ sicher, dass die Zinssenkungen der Notenbanken von 2011 bis 2020 durch Aufblähung der Geldmenge die Basis für den Ausbruch der Inflation waren. Pandemie und Ukraine waren nur Brandbeschleuniger. Ebenfalls ist man überzeugt, dass die Fed und noch mehr die EZB mit den Zinserhöhungen viel zu spät begonnen haben. Auch die Prognosen dieser Institute erwiesen sich im „Rückspiegel“ als falsch, manche Kommentierungen als geradezu erschreckend ahnungslos. Nun will man die Zinsen soweit erhöhen bzw. hochhalten, bis die Wirtschaftsdaten „Wirkung" zeigen. Hierzu die Meinung der Wall Street lautet: Die Fed erhöht so lange die Zinsen, bis etwas kaputtgeht.

Es ist unbestritten, dass zwischen Zinsänderung und Wirkung in der Wirtschaft ein Zeitraum liegt, der vorher schwer kalkulierbar ist. Gründe sind unter anderen: Wann laufen Zinsbindungen aus, wann reagiert der Konsument, oder wann enden Festpreise und wann verschlechtert sich der Arbeitsmarkt. Dadurch entsteht eine Zeit lang der Eindruck, dass Zinserhöhungen die Wirtschaft gar nicht schwächen. Daher steigt die Börse derzeit und glaubt, dass der Zinsgipfel erreicht ist und die Notenbanken im dritten, spätestens im vierten Quartal die Zinsen wieder zurücknehmen.

Da die Notenbänker auf die Zahlen schauen, die derzeit immer noch stabil sind, erhöhen sie aber die Zinsen weiter, zumal die Steigerungsraten der Inflation zwar nachlassen, aber die Geldentwertung immer noch viel zu hoch ist, trotz statistischer Tricksereien (zum Beispiel Gewichtung der Energiepreise wurde reduziert). Die hohen Lohnabschlüsse, der Fachkräftemangel und die Energiepreise dürften die Inflationsraten bei uns noch einige Zeit hochhalten, so dass die Prognosen der Notenbanken für die Inflation von zwei Prozent in den nächsten zwei Jahren sich als viel zu optimistisch und damit als „Nebelkerzen“ und „Beruhigungspillen“ herausstellen werden.

Wie vor 2022, als die Aussagen „vorübergehend" und „keine Angst wegen der Inflation“ die Runde machten. Sie entpuppten sich alle als „grottenfalsch“. Jetzt kritisiert auch noch der Bundesrechnungshof, dass das Finanzministerium (FM Scholz) der Aufsichtspflicht bzgl. der EZB bei ihren Käufen von Staatsanleihen nicht nachgekommen ist. Nun drohen der Bundesbank hohe Verluste und muss evtl. sogar rekapitalisiert werden.

Gleichzeitig werden die Bürger beruhigt, mit Überschriften wie: Die Inflation ist im Mai 23 auf nur noch 6,1 Prozent (VJ 7,0 Prozent) nach 7,2 Prozent im April 23 (VJ 6,3 Prozent) gefallen. Zunächst eine Falschmeldung, denn: Die 6,1 Prozent auf 7,0 Prozent ergibt eine ähnlich hohe Vergleichszahl als die 7,2 Prozent auf die 6,3 Prozent. Hinzu muss der Zusatz (soll beruhigen) durchschnittlich nur „sieben Prozent“ in 2023 eingeordnet werden. Lässt man die letzten zwölf Monate unberücksichtigt, sind die sieben Prozent die höchste Steigerung der Inflation seit 1973. Und gefallen ist die Inflation schon mal gar nicht. Höchstens etwas abgeschwächt weiter gestiegen. Leider versagt hier auch die Presse.

Ein Argument für weitere Zinserhöhungen nennen die Entscheider den stabilen Arbeitsmarkt. Dies ist aber ein Relikt aus der Vergangenheit. Denn die Firmen haben ihre Strategie geändert. Früher haben sie bei ersten Zeichen von Wirtschaftsschwäche Mitarbeiter entlassen. Der Fachkräftemangel hat aber dazu geführt, dass sie nun die Mitarbeiter weiter beschäftigen, aus Angst, beim nächsten Aufschwung keine Leute mehr zu bekommen. Diese Statistik wird also länger stabiler bleiben als die Wirtschaftsdaten. Falsche Argumente, falsche Entscheidungen.

Wir müssen demnach befürchten, dass der Fuß viel zu spät von der Bremse genommen wird (Overkill). Dann könnten die Börsen noch einmal deutlich Luft ablassen. Mit Beginn der Zinssenkungen dürften die Börsen vielleicht wieder eine Zwischenrallye starten. Doch es könnten schon negative Entwicklungen ihren Lauf genommen haben, die in kurzer Zeit nicht aufzuhalten sind. Denn: Auch Zinssenkungen benötigen Zeit, bis sie eventuell wirken. Stimmungen könnten dann sich so verschlechtert haben, dass Zinssenkungen verpuffen. Wenn die Anleger dann davon ausgehen, dass die Inflation weiter steigt, ohne dass sich die Wirtschaft in ausreichendem Maße verbessert, werden die Langzeitzinsen sogar nach oben klettern, mit dann gravierenden Folgen für die Kurse von Festverzinslichen, Aktien und Immobilien.

Während die Wirtschaft- und Arbeitsmarktdaten in USA noch gut erscheinen, winken vorlaufende Statistiken schon mit dem Zeigefinger. Statt darauf zu reagieren und die Zinsen schon heute zu senken, prognostiziert die Fed nach der „Zinspause“ weitere Zinserhöhungen. So lag der Einkaufsmanagerindex (PMI) im März bei 46,3 und zeigt seit November 2022 (unter 50), dass die Wirtschaft schon schwächelt. Auch der LEI (Leading Economic Index) zeigt mit minus 6,5 Prozent einen bereits sehr negativen Wert an. Zu guter Letzt liegt auch der Coincident Index (Index verschiedener Indikatoren) nur noch bei 1,4 Prozent (erst über 2,5 Prozent bedeutet Wachstum). Das Szenario eines „soft landing“ erscheint immer unwahrscheinlicher. Auch die inverse Zinsstruktur war in der Vergangenheit meist ein Vorzeichen für Rezession.

Wir könnten in Amerika näher an der Rezession liegen, wie alle glauben, zumal die während der Pandemie angesparten Gelder zu über 60 Prozent schon wieder ausgegeben wurden. Außerdem haben die Banken ihre Kreditvergabebedingungen schon seit einiger Zeit verschärft, noch mehr seit dem Zusammenbruch der SVB. In den USA mussten im März ca. 500 Mrd. US-Dollar abgeschrieben werden.

Gleichzeitig leiden die Banken unter dem Rückgang der Kundeneinlagen (ca. fünf Prozent jährlich), die sich vor allem bei kleineren und mittleren Banken auf die Möglichkeit Kredite zu vergeben negativ auswirken. Nachdem die Fed die kleine Bankenkrise im März mit viel Liquidität gerettet hat, geht nun die Börse davon aus, dass die Notenbanken bei weiteren Zusammenbrüchen wieder einspringen. Dies trägt die Gefahr der Sorglosigkeit in sich und verleitet zu Fehlallokationen. Und die letzte Generation der Börsenteilnehmer kennt seit 2009 nur eine Trendrichtung. Baisse-Management ist ein Fremdwort.

Anleger sollten daher einer Strategie der Vermögenssicherung oberste Priorität geben. Hohe Qualität, erhöhte Liquiditätshaltung und einen Anteil (bis 20%) in Edelmetallen. Edelmetalle haben das Vertrauen der Anleger in fast jeder Krise gerechtfertigt. Kursschwächen bei weiteren Zinserhöhungen sind mittelfristige Kaufkurse. Geklingelt zum Einstieg wird an der Börse bekanntlich nicht. Viele Anleger (und Berater) tun sich damit schwer. Die Strategie war in der Vergangenheit aber stets richtig. Doch wie sagte Gandhi einst: ,,Die Geschichte lehrt, dass die Geschichte die Menschen nichts lehrt“.

Marktkommentar von Rolf Ehlhardt, Vermögensverwalter, I.C.M. Independent Capital Management Vermögensberatung Mannheim GmbH