Value Investing und Emerging Markets: Eine interessante Kombination

06.06.2023

Harald Sporleder, Chief Investment Officer von Lingohr & Partner Asset Management / Foto: © Lingohr Asset Management GmbH

Aktien aus Schwellenländern rücken bei Investoren wieder vermehrt in den Fokus, nachdem sie zuletzt vielfach schlechter abgeschnitten hatten als die Industrieländer. Gerade unter Value Investing-Gesichtspunkten kann das interessant sein.

Die Emerging Markets haben in der jüngeren Vergangenheit wenig Anlass zur Freude gegeben. Über einen Zeitraum von zehn Jahren konnten Anleger ihren Einsatz mit dem MSCI World verdreifachen. Zum Vergleich: Der MSCI Emerging Markets gewann im gleichen Zeitraum 40 % hinzu. Eine weitere Zahl: Seit seinem Hoch im Februar 2021 hat der MSCI Emerging Markets Index rund 20 % verloren. Andererseits ist zu beobachten, dass viele Schwellenländeraktien sich nach den jüngsten Markteinbrüchen am unteren Ende ihrer historischen Bewertungsspanne bewegen. Bei der US-Bank JP Morgan beispielsweise heißt es, dass der deutliche Rückgang der Bewertungen im vergangenen Jahr die Schwellenländer zu einer attraktiven Wahl für zyklische Investments macht.

Schwellenländer: gegen den Trend investieren

Auch unter Value Investing-Gesichtspunkten kann das interessant sein. Denn das Value Investing zielt bekanntlich darauf, sich gegen den Trend zu positionieren und dann in Märkte einzusteigen, wenn die Bewertungen günstig sind. Das ist in den Emerging Markets derzeit der Fall. In Schwellenländer zu investieren, bedeutet zumindest nach den Erfahrungen der vergangenen Jahre, gegen den Trend zu investieren. Während derzeit wieder sehr viel Geld in den Growth-Sektor fließt und einige wenige Big-Tech-Unternehmen einen Großteil des Kapitals abschöpfen, befinden sich die Emerging Markets noch im Dornröschenschlaf. Für Investoren, die keinen Herdentrieb verspüren, bietet sich also die Gelegenheit, frühzeitig einzusteigen und dann von einer kommenden Erholung überdurchschnittlich stark zu profitieren. Sie können jetzt kaufen, bevor es gut wird, und fallen nicht dem Risiko anheim, erst dann einzusteigen, wenn sich der Markt auf hohem Niveau bereits gesättigt zeigt.

Asiens Schwellenländer behaupten sich gegen globalen Abwärtstrend

Dazu passt eine Äußerung von Lazard Asset Management: „Die Aktien der Schwellenländer mussten im Jahr 2022 viele Hürden überwinden, begannen sich aber im vierten Quartal zu erholen. Wir gehen davon aus, dass sich diese Erholung aufgrund des relativ starken Wachstums, der nachlassenden Inflation, des schwächeren US-Dollars und der sich verbessernden Fundamentaldaten fortsetzen wird. Nach dem steilen Rückgang der Aktienmärkte im Jahr 2022 sind wir der Ansicht, dass Schwellenländeraktien eine der am stärksten fehlbewerteten Anlageklassen sein könnten, mit attraktiven Bewertungen im Vergleich zu historischen Niveaus.“

Wichtig sind auch die konjunkturellen Prognosen vieler Schwellenländer. So gilt beispielsweise Indien als ein weltweiter Zukunftsmarkt. Die BIP-Wachstumsprognose 2023 liegt bei 6,5 % und soll in den kommenden Jahren jeweils auch über 6 % liegen. Generell gehen Prognosen der Asiatischen Entwicklungsbank (ADB) im „Asian Development Outlook“ davon aus, dass die Wirtschaftsleistung in Asiens Schwellenländern 2022 um 4,2 % zugelegt hat und 2023 um 4,8 %  zunehmen wird. Und: Der Internationale Währungsfonds prognostiziert für den asiatisch-pazifischen Raum ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts von 4,6 % im Jahr 2023, nach 3,8 % im Jahr 2022. Er geht davon aus, dass China und Indien in diesem Jahr etwa die Hälfte des globalen Wachstums beisteuern werden, während der Rest der Region Asien und Pazifik ein weiteres Fünftel beisteuert. Daher gilt: Asiens Schwellenländer behaupten sich gegen globalen Abwärtstrend, und auch Afrika kann sich in den kommenden Jahren nach vorne arbeiten. Das Wachstum des realen Bruttoinlandsprodukts des Kontinents lag laut Statista.com 2022 bei 8,8 %, soll dieses Jahr bei rund 5,5 % liegen und wird ab 2024 auf mehr als 8 % geschätzt. Die Wachstumsaussichten sind also sehr attraktiv und liegen deutlich höher als in den gesättigten Märkten.

Politische und wirtschaftliche Risiken einkalkulieren

Diese Überlegungen zeigen, worauf es bei Value-getriebenen Investments in den Emerging Markets ankommt. Im Sinne des Value Investing stehen nicht Geschichten im Fokus, sondern fundamentale Fakten. Die wichtigsten entscheidungsrelevanten Kennzahlen für Anleger sind Substanz- und Ertragsbewertungskennzahlen wie Kurs/Buchwert-Verhältnis, Kurs/Cashflow-Verhältnis, Kurs/Gewinn-Verhältnis, Dividendenrendite, Eigenkapitalrendite etc. Das gilt vor allem, weil in Schwellenländern in der Regel höhere Liquiditäts-, Währungs-, Regulierungs- und Rechtsrisiken bestehen können als in westlichen Industrienationen, zumal Schwellenländer aus westlicher Perspektive häufig keine vollständig entwickelten Demokratien sind, sodass die Märkte unter ungünstigen politischen Entwicklungen beziehungsweise Entscheidungen leiden können. Diese Risiken gilt es zu bewerten und einzupreisen.

Das bedeutet: Gerade Emerging Market bieten aufgrund von erhöhten Ineffizienzen und deutlichen Bewertungsabschlägen ein optimales Umfeld für aktive Investoren. Sie müssen dafür aber den Mut haben, sich gegen den Trend zu stellen und das zu tun, was viele andere gerade lassen. Das ist das Wesen von Value Investing.

Gastbeitrag von Harald Sporleder,
Chief Investment Officer Lingohr & Partner AM,
Value Investing Spezialist