US-Bankenkrise: Kommt nun eine Rezession in den USA?
10.05.2023
Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle Investments / Foto: © Columbia Threadneedle
Einige Beobachter meinen, die regionale Bankenkrise in den USA sei vorbei: Das jüngste Opfer einer Leerverkaufsattacke, PacWest Bancorp, verzeichnete am Freitag (5. Mai) einen Kursanstieg und eröffnete diese Woche (8. Mai) noch höher. Goldman Sachs veröffentlichte Daten, aus denen hervorgeht, dass sich das Tempo der Einlagenabflüsse seit Beginn der Krise im März verlangsamt hat, und natürlich hat kein einziger Einleger Geld verloren. „Manche geben sich dem Szenario hin, in dem die Inflation ohne Rezession auf das zwei-Prozent-Ziel der Federal Reserve zurückfällt, die Zinssätze sinken und das US-Bankensystem gedeiht. Ich halte dies jedoch für sehr unwahrscheinlich“, warnt Steven Bell, Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle. Wahrscheinlicher sei eine Kreditklemme, weitere Turbulenzen im Bankensystem und eine – wenn auch wahrscheinlich milde – Rezession in den USA. Erst dann werde die Fed die großen Zinssenkungen vornehmen, die der Markt eingepreist hat.
Ernsthafte Schwächen im US-Finanzsystem
„Ich glaube also nicht, dass die Bankenkrise vorbei ist“ so Bell, und obwohl die Argumente ein wenig technisch seien, sieht der Chefökonom ernsthafte Schwächen im US-Finanzsystem: Erstens seien viele der Instrumente, die die US-Behörden in der globalen Finanzkrise 2008 so erfolgreich eingesetzt haben, wie etwa die Ausweitung der Einlagensicherung, inzwischen vom Kongress wieder abgeschafft worden. Und zwar seien bisher stets Käufer für scheiternde Regionalbanken gefunden worden – doch diese Vorgehensweise stößt irgendwann an ihre Grenzen.
Zweitens zerstörte die Ausweitung der Fed-Bilanz infolge der quantitativen Lockerung (QE) einen wichtigen Mechanismus, der in früheren Krisen zur Stabilisierung des Systems beigetragen hat. Vor der Einführung der quantitativen Lockerung kam es bei einer Finanzkrise zu einer Flucht aus Bankeinlagen in Schatzwechsel. Dadurch sank ihre Rendite im Vergleich zur Rendite von Bankeinlagen – und der so genannte TED-Spread weitete sich aus. Große Einleger mussten also eine Strafe zahlen, wenn sie ihre Einlagen von den Banken abzogen. Kurzum: Wenn die Angst vor einem Bankenzusammenbruch zunahm, weitete sich der TED-Spread aus und das System konnte ein Gleichgewicht finden. Nun habe sich die Lage laut Bell jedoch geändert: „QE hat diesem Prozess einen Riegel vorgeschoben.“ Um zu verhindern, dass sich aufgrund der quantitativen Lockerung Überschussreserven bilden, müsse die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) den Leitzins tendenziell gegen Null drücken. Stattdessen musste sie Zinsen auf überschüssige Bankreserven in Höhe des Zielzinssatzes zahlen – und schloss den TED-Spread kurz. „Einleger werden also nicht mehr bestraft, wenn sie ihr Geld von einer in Schwierigkeiten geratenen Bank abziehen“, fasst der Chefvolkswirt die Situation zusammen.
USA: Kreditklemme und Rezession noch vor Ende des Jahres
Abgesehen von diesen technischen Fragen werde die Angst vieler US-Banken, das nächste Opfer zu werden, sie dazu veranlassen, bei der Kreditvergabe äußerst vorsichtig zu sein. „Tatsächlich war bereits vor dem Zusammenbruch der Silicon Valley Bank eine deutliche Verknappung festzustellen“, bemerkt Bell. So zeige die in dieser Woche veröffentlichte Meinungsumfrage unter Senior Loan Officers, dass die Kreditvergabe wieder auf das Niveau der schlimmsten Tage der Großen Finanzkrise abgerutscht ist. Ein wichtiger Unterschied zur Finanzkrise bestehe jedoch darin, dass die Megabanken in dieser jüngsten Krise nur wenig gelitten haben. „Längerfristig könnten sie sogar profitieren, da sie Konkurrenten billig aufkaufen“, sagt Bell. Es sei jedoch unwahrscheinlich, dass sie den Rückstand bei der Kreditvergabe aufholen können, den ihre schwächeren Konkurrenten hinterlassen haben, und sie werden die Bedingungen für die von ihnen vergebenen Kredite sicherlich weiter verschärfen.
Zwar zeigten die jüngsten Beschäftigungszahlen, dass die US-Wirtschaft von einer Rezession weit entfernt ist. „Jedoch kann die Wirkung der Geldpolitik verzögert eintreten“, warnt Bell, und die riesigen Ersparnisüberschüsse, die von der Covid-Krise übrig geblieben sind, haben diese Verzögerung wahrscheinlich noch verlängert. Aber diese Reserven scheinen nun in den USA aufgebraucht zu sein. „Und wenn sich die Kreditklemme so entwickelt, wie ich es erwarte, bedeutet es, dass die Rezession in den USA noch vor Ende des Jahres kommen wird“, lautet die düstere Prognose des Chefökonomen von Columbia Threadneedle.
Keine Gefahr für Banken in Europa und Großbritannien
Was bedeutet dies alles für andere Volkswirtschaften? Erstens haben die Zentralbanken fast überall die Zinsen angehoben, was zu einer Verschärfung der Kreditbedingungen geführt hat. Jedoch rechnet Bell nicht damit, dass die Banken in Europa und im Vereinigten Königreich dieselbe anhaltende Krise erleben werden: „Die Credit Suisse war wirklich ein Einzelfall, und die Aufsichtsbehörden in Europa sind nicht so restriktiv wie ihre amerikanischen Pendants“, so der Chefvolkswirt.
Zwar seien Rezessionen keine guten Nachrichten für Risikoanlagen. „Aber die bevorstehende US-Rezession ist die am meisten erwartete, an die ich mich erinnern kann. Die Gewinnschätzungen wurden bereits gesenkt, und obwohl die Aussichten für Aktien nicht gut sind, haben wir bei Columbia Threadneedle eine weitgehend neutrale Haltung eingenommen, da die Zinssätze schnell fallen dürften“, sagt Bell. Staatsanleihen könnten durchaus besser abschneiden, und der US-Dollar dürfte weiter schwächeln. „Vor uns liegt eine weitere wichtige Woche, in der in den USA wichtige Wirtschaftsdaten erwartet werden“ – dann gebe es mehr Klarheit darüber, wo wir stehen.
Gastbeitrag von Steven Bell,
Chefvolkswirt EMEA bei Columbia Threadneedle