"Überhöhte Gefahr einer nachhaltigen Inflation"

13.04.2021

Tobias Stöhr - Foto: © Spectrum Markets

Viel wird aktuell über die ansteigenden Inflationsraten gesprochen. Sind diese nur ein kurzes Intermezzo oder sehen wir gerade erst den Beginn einer deutlichen Inflation?  Tobias Stöhr, Börsenexperte bei Spectrum Markets, im finanzwelt-Interview.

finanzwelt: Viel wird derzeit von einer Inflationsgefahr gesprochen. Wie realistisch ist diese „Gefahr“? Tobias Stöhr: Die Erwartung an eine deutliche und nachhaltige Inflation scheint aus unserer Sicht überhöht. Ein Anstieg der Geldmenge allein ist nicht gleichbedeutend mit Inflation. Hierzu wäre es notwendig, dass das zusätzlich geschöpfte Zentralbankgeld nachfragewirksam wird. Wenn die Geschäftsbanken aber keine Kredite an die Privatwirtschaft ausreichen, etwa weil diese nicht nachgefragt werden oder die Risikoaversion zu hoch ist, bleiben die Preise unverändert. Wenn auch der private Konsum durch billig bereitgestelltes Geld nicht an-springt, weil die Menschen in der Krise zu höheren Sparquoten neigen – im vergangenen Jahr war dies sogar in der sonst eher konsumgetriebenen Wirtschaft der USA zu beobachten –, bleibt eine Inflation aus.

finanzwelt: Haben wir in den zurückliegenden Dekaden vergleichbare Marktphasen einer langsam anziehenden Inflation erlebt? Stöhr: Am ehesten lässt sich die Liquiditätskrise von 2008/09 und die darauffolgende Staatsschuldenkrise und die damit einhergehenden Rettungsaktionen heranziehen. Hier haben wir ebenfalls die genannten kompensatorischen Effekte gesehen.

finanzwelt: Wie würden sich steigende Preise an den Aktienmärkten bemerkbar machen (Druck auf Aktienmärkte)? Stöhr: Die Anleger scheinen weit vorauszublicken, in eine Zeit nach der Pandemie. Hier erwarten viele einen regelrechten Wirtschaftsboom. Diese Hoffnung mag noch eine ganze Weile tragen, zumal es zurzeit zu den potenziellen Zuwächsen an den Aktienmärkten kaum Alternativen zu geben scheint. Eine gewisse Nervosität ist allerdings nicht zu leugnen, so dass jederzeit mit kurzfristig einsetzender Volatilität gerechnet werden muss.

finanzwelt: Wie sollten Investoren mit der Inflation umgehen (Stichwort: inflationsgeschützte Anleihen)? Stöhr: Eine durchdachte Auswahl an Titeln aus Branchen, die sich in volatilen Zeiten üblicherweise besser als der Markt entwickeln, kann das Portfolio absichern helfen. Neben der Verteilung des Risikos auf unterschiedliche Anlageklassen mit geringer Korrelation können weniger risikoaverse Anleger volatile Phasen für den kurzfristigen Handel nutzen und kurzfristige Shortpositionen einnehmen, die entsprechende Erfahrung vorausgesetzt.

finanzwelt: Ist Inflation ringsum auf dem Globus ein Thema? Stöhr: Die veränderten globalen Wertschöpfungsketten haben eine völlig neue Dynamik entwickelt, die einen echten Nachfrageüberhang bei gleichzeitiger Güterknappheit nicht mehr so einfach entstehen lassen.

Unabhängig davon, wie man jeweilige geldpolitische Maßnahmen beurteilt – die Umlaufgeschwindigkeit des Geldes nimmt zwangsläufig ab, wenn die Geldmenge steigt, sich die Gesamtwirtschaftsleistung aber nicht verändert. Das bedeutet, dass selbst die Tatsache, dass globale Transportunternehmen derzeit über bevorstehende Kapazitätsengpässe klagen, kaum dazu führen wird, dass die Menschen mit den einsetzenden Lockerungen auch langfristig überproportional konsumieren werden oder dass Investitions- und Produktionstätigkeiten nun überall dort massiv und dauerhaft ansteigen, wo sie vor der Krise heruntergefahren wurden. (ah)