Türkei: Kapitalmarkt bleibt vorerst gefährdet
14.10.2013
**Hochgelobt wurde der türkische Aktienmarkt im vergangenen Jahr – eine wahre Hausse und Bestplatzierungen im weltweiten Ranking. Nun tritt die Kehrseite der Medaille zu Tage. *Martin Marinov*, Fondsmanager im Team Global Emerging Markets und Eastern Europe (Fixed Income) bei **Raiffeisen Capital Management, kommentiert die Lage am Bosporus.
Noch vor wenigen Monaten galt die Türkei als Starperformer der Region, der internationalen Anlegern satte Gewinne sicherte und dank einer jungen, dynamischen und konsumfreudigen Bevölkerung als Hoffnungsträger für langen wirtschaftlichen Aufschwung betrachtet wurde. Der Schwäche (West-)Europas trotze die Türkei mit guten Handelsbeziehungen zum Nahen Osten, und die hohe Liquidität an den Finanzmärkten ermöglichte es dem Staat, sein steigen-des Leistungsbilanzdefizit mit (vorwiegend kurzfristigem) Geld zu finanzieren. Solide Fun-damentaldaten brachten dem Land zusätzlich zwei Investment-Grade-Ratings und lockten – bei vergleichsweise hohen Renditen – erstmals viele institutionelle Anleger in türkische Staatsanleihen.
Doch Proteste – zunächst gegen ein Einkaufszentrum im Istanbuler Gezi-Park und später gegen das harsche Vorgehen der Regierung gegen die Demonstranten – vor allem aber die Ankündigung eines Taperings (Drosselung der Anleihekäufe) seitens der Fed und die damit verbundenen steigenden Renditen, haben den türkischen Kapitalmarkt im Frühsommer des Jahres tief erschüttert und starke Abflüsse in Gang gesetzt. Abflüsse, die zwar in keinem Verhältnis zu den enormen Zuflüssen der Jahre davor stehen, die aber eine Dynamik auslösen könnten, die das Land ins Trudeln bringt. Ein Tapering der USA – eventuell im Dezember diesen Jahres – könnte für die Türkei, die ein hohes Leistungsbilanzdefizit aufweist, massiv von ausländischem Kapital abhängig ist und wirtschaftlich gerade etwas an Fahrt verliert, gravierende Folgen hinsichtlich Finanzierbarkeit und Währungsstabilität haben. Das zeigt schon die bloße Ankündigung des Taperings.
Die türkische Notenbank, die vor allem einen weiteren Abschwung der Wirtschaft verhindern möchte, hat auf diese Entwicklung bis dato nicht erwartungsgemäß reagiert: Anstatt mit deutlichen Zinserhöhungen gegenzuhalten – was die Lira-Abwertung abgebremst hätte aber andererseits die Wirtschaft schwächen und das Wachstum weiter reduzieren würde – nimmt sie höhere Inflation in Kauf.
Derzeit scheint das nach der Verschiebung des Taperings und der darauf folgenden guten Marktstimmung zu funktionieren: die Renditen sind von den Stress-Niveaus zurückgegangen, die Lira und der Aktienmarkt haben sich stabilisiert. Doch der unorthodoxe Kurs der türkischen Notenbank ist riskant, denn gute Wachstumsraten in den USA bei höheren Renditen würden die Kapitalabflüsse aus der Türkei verstärken. Das Land könnte sich in einer Situation wie im Jahr 2006 wiederfinden, als der Leitzins in einem Schritt um 4 Prozentpunkte angehoben werden musste.
Sollte die Fed ihre Anleihekäufe zügig reduzieren, könnte die Türkei ernsthafte Probleme bekommen. Moderate Zinserhöhungsschritte und eine Kommunikation, in der die Bereitschaft signalisiert wird, bei Marktverwerfungen gegebenenfalls energisch entgegenzuhalten, würde das Land für die Marktteilnehmer wesentlich kalkulierbarer machen.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) erwartet heuer für die Türkei ein BIP-Wachstum von 3,8 %, ähnlich dürfte sich die Wirtschaft auch 2014 entwickeln. Anhaltendes Wirtschaftswachstum ist für die regierende islamisch-konservative Regierungspartei von Recep Erdogan auch deshalb sehr wichtig, da dies bei den Wahlen im nächsten Jahr positive Effekte bringen wird. Da Erdogan nach drei Regierungsperioden seit 2003 als Ministerpräsident dieses Amt selbst nicht mehr ausüben darf, gilt als wahrscheinlichstes Szenario ein „Ämterwechsel" zwischen Staatspräsident Abdullah Gül und Erdogan, wobei ein Machtausbau des Präsidentenamtes im Raum steht.
Langfristig ist die Türkei mit ihrem guten demografischen Bild einer jungen, aufstrebenden Bevölkerung und einem hohen Potenzial-Wirtschaftswachstum für Investoren noch immer einer der attraktivsten Märkte weltweit. Kurz- bis mittelfristig droht dem Land aber die Abkehr vieler Investoren. Von der Türkischen Notenbank wird hier nicht weniger als eine Meisterleistung erforderlich sein, um die Balance zwischen Währungsstabilität und Wachstum zu halten und Investoren die Berechenbarkeit des Marktes zu vermitteln.