Talfahrt der Wirtschaft wird kommen
05.07.2023
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Ende vergangenen Jahres schrillten die Alarmglocken. Viele Volkswirte sahen eine tiefe Rezession kommen. Zum Glück kam es anders. Ist der Abschwung nunmehr abgeblasen?
Der Abschwung kommt – wenn auch mit Verspätung: Die Aussichten für die Konjunktur im zweiten Halbjahr sind trübe, sagt Felix Herrmann, Chefvolkswirt und Portfoliomanager bei ARAMEA Asset Management. An den Aktienmärkten ist aus seiner Sicht zunächst Vorsicht angesagt, am Rentenmarkt bleiben Nachranganleihen interessant.
„Die Zinskurve ist in den USA seit einem Jahr invers – in Deutschland seit November. Die Geldpolitik wurde massiv gestrafft, Immobilienmärkte straucheln, China schwächelt und die Industrie geht am Stock. Dennoch lässt eine spürbare Rezession in der Eurozone und den USA weiter auf sich warten. Was vordergründig als „Rezessionsrätsel“ daherkommt, lässt sich vor allem durch ein Phänomen erklären: enorm robuste Arbeitsmärkte angesichts eines historischen Arbeitskräftemangels. Für das zweite Halbjahr sind die Konjunkturaussichten dennoch eher trübe.
Geldpolitik wirkt bekanntlich mit einer zeitlichen Verzögerung. Diese ist wiederum alles andere als konstant. In der Europäischen Zentralbank (EZB) geht man von einer groben Zeitspanne von 18 bis 24 Monaten aus. Dementsprechend wird der stärkste disinflationäre Impuls der Zinserhöhungen auch erst im Jahr 2024 erwartet. Dennoch dürfte die Gesamtinflation bereits bis Ende dieses Jahres stark zurückgehen und in der Eurozone eine „2 vor dem Komma“ erreichen. Da die Lohnstückkosten nach Abzug des Produktivitätszuwachses aber zu stark steigen und wohl auch weiter zunehmen werden, dürfte sich der Inflationsrückgang bei der Gesamtrate wohl nur als vorübergehendes Phänomen entpuppen. Die Kerninflation erwarten wir auch im kommenden Jahr noch bei über 3 Prozent.
Aktuell sorgt neben der gestiegenen durchschnittlichen Restlaufzeit
der privaten Verschuldung, die weniger akuten
Refinanzierungsbedarf bedeutet, insbesondere der robuste Arbeitsmarkt
sogar für eine überdurchschnittlich lange Verzögerung bei den Auswirkungen der
Geldpolitik (wenn’s mal wieder länger dauert: die 'Snickers-Rezession').
Angesichts des Arbeits-
und Fachkräftemangels ergreifen Unternehmen statt Entlassungen andere Maßnahmen, um Lohnkosten zu
senken. Allerdings waren es bis zuletzt die hohen und gefühlt
fast unverwüstlichen Margen
der Unternehmen, die eine solche Strategie möglich gemacht
haben. Schrumpfen diese vor dem Hintergrund der andauernden konjunkturellen Schwäche
und der rückläufigen
Inflation, wird über kurz oder lang auch die Arbeitslosenquote langsam anziehen
und die Binnennachfrage schwächen. (ah)